14. Über das Pathetische.
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genannten Dramen (Mitteldinge zwischen Lustspiel und Trauerspiel) und
der beliebten Familiengemälde, gehören in diese Klasse. Sie bewirken
bloß Ausleerungen des Thränensacks, aber der Geist geht leer aus, und
die edlere Kraft im Menschen wird ganz und gar nicht dadurch gestärkt.
Auf der andern Seite sind aber auch alle diejenigen Grade des
Affekts ausgeschlossen, die den Sinn bloß quälen, ohne zugleich den Geist
dafür zu entschädigen. Sie unterdrücken die Gemütsfreiheir durch Schmerz
nicht weniger, als jene durch Wollust, und können deswegen bloß Ver¬
abscheuung und keine Rührung bewirken, die der Kunst würdig wäre.
Die Kunst muß den Geist ergötzen und der Freiheit gefallen. Der,
welcher einem Schmerze zum Raube wird, ist bloß ein gequältes Tier,
kein leidender Mensch mehr; denn von dem Menschen wird schlechterdings
ein moralischer Widerstand gegen das Leiden gefordert, durch den allein
sich das Princip der Freiheit in ihm, die Intelligenz, kenntlich machen kann.
Aus diesem Grunde verstehen sich diejenigen Künstler und Dichter
sehr schlecht auf ihre Kunst, welche das Pathos durch die bloße sinn¬
liche Kraft des Affekts und die höchstlebendigste Schilderung des Leidens
zu erreichen glauben. Sie vergessen, daß das Leiden selbst nie der letzte
Zweck der Darstellung und die unmittelbare Quelle des Vergnügens
sein kann, das wir am Tragischen empfinden. Das Pathetische ist nur
ästhetisch, insofern es erhaben ist. Wirkungen aber, welche bloß auf eine
sinnliche Quelle schließen lassen und bloß in der Affektion des Gefühls¬
vermögens gegründet sind, sind niemals erhaben, wie viel Kraft sie auch
verraten mögen; denn alles Erhabene stammt nur aus der Vernunft.
Eine Darstellung der bloßen Passion (sowohl der wollüstigen als
der peinlichen) ohne Darstellung der übersinnlichen Widerstehungskraft
heißt gemein, das Gegenteil heißt edel. Gemein und edel sind die
Begriffe, die überall, wo sie gebraucht werden, eine Beziehung auf den
Anteil oder Nichtanteil der übersinnlichen Natur des Menschen an einer
Handlung oder an einem Werke bezeichnen. Nichts ist edel, als was aus der
Vernunft quillt; alles, was die Sinnlichkeit für sich hervorbringt, ist gemein.
Wir sagen von einem Menschen, erhandle gemein, wenn er bloß den
Eingebungen seines sinnlichen Triebes folgt; erhandle anständig, wenn
er seinem Triebe nur mit Rücksicht auf Gesetze folgt; er handle edel,
wenn er bloß der Vernunft, ohne Rücksicht auf seine Triebe, folgt. Wir
nennen eine Gesichtsbildung gemein, wenn sie die Intelligenz im
Menschen durch gar nichts kenntlich macht; wir nennen sie sprechend,
wenn der Geist die Züge bestimmte, und edel, wenn ein reiner Geist die
Züge bestimmte. Wir nennen ein Werk der Architektur gemein, wenn es uns
keine anderen als physische Zwecke zeigt; wir nennen es edel, wenn es,
unabhängig von allen physischen Zwecken, zugleich Darstellung von Ideen ist.