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So führen die Tiere ein schmerzenvolles Leben, wenn von der Glut
der Sonne das Wasser auf dem Erdboden verschwindet.
Tritt endlich nach langer Dürre die wohlthätige Regenzeit ein,
so verändert sich plötzlich die Scene in der Steppe. Das tiefe Blau
des bis dahin nie bewölkten Himmels wird lichter. Kaum erkennt
man bei Nacht den schwarzen Raun: im Sternbild des südlichen
Kreuzes. Der sanfte phosphorartige Schimmer der Maghellanischen
Wolken verlischt. Selbst die scheitelrechten Gestirne des Adlers und
des Schlangenträgers leuchten mit zitternden!, minder planetarischem
Lichte. Wie ein entlegenes Gebirge erscheint einzelnes Gewölk im
Süden, senkrecht aufsteigend am Horizonte. Nebelartig breiten allmäh¬
lich die vermehrten Dünste sich über den Zenith aus. Den belebenden
Regen verkündigt der ferne Donner. Kaum ist die Oberfläche der
Erde benetzt, so überzieht sich die duftende Steppe mit Kyllingien, mit
vielrispigem Paspalum und mannigfaltigen Gräsern. Vom Lichte ge¬
reizt, entfalten krautartige Mimosen ihre gesenkt schlummernden Blätter
und begrüßen die ausgehende Sonne, wie der Frühgesang der Vögel
und die sich öffnenden Blüten der Wasserpflanzen. Pferde und Rinder
weiden nun in frohem Genusse des Lebens. Das hochaufschießende
Gras birgt den schöngefleckten Jaguar. Im sichern Versteck auflauernd
und die Weite des einzigen Sprunges vorsichtig messend, erhascht er
die vorüberziehenden Tiere, katzenartig wie der asiatische Tiger.
Bisweilen sieht man (so erzählen die Eingeborenen) an den Ufern
der Sümpfe den befeuchteten Boden sich langsam und schollenweise
erheben. Mit heftigem Getöse, wie beim Ausbruche kleiner Schlamm¬
vulkane, wird die aufgewühlte Erde hoch in die Luft geschleudert.
Wer des Anblicks kundig ist, flieht die Erscheinung; denn eine riesen¬
hafte Wasserschlange oder ein gepanzertes Krokodil steigen aus der
Gruft hervor, durch den ersten Regenguß aus dem Scheintode geweckt.
Schwellen nun allmählich die Flüsse, welche die Ebene südlich
begrenzen, der Arauca, der Apure und der Payara, so zwingt die
Natur dieselben Tiere, welche in der ersten Jahreshälfte auf dem wasser¬
leeren, staubigen Boden vor Durst verschmachteten, als Amphibien zu
leben. Ein Teil der Steppe erscheint nun wie ein unendliches Binnen¬
wasser. Die Mutterpferde ziehen sich mit den Füllen auf die höheren
Bänke zurück, welche inselförmig über den Seespiegel hervorragen.
Mit jedem Tage verengt sich der trockene Raum. Aus Mangel an
Weide schwimmen die zusammengedrängten Tiere stundenlang umher
und nähren sich kärglich von der blühenden Grasrispe, die sich über
dem braungefärbten, gärenden Wasser erhebt. Viele Füllen ertrinken,
viele werden von den Krokodilen erhascht, mit dem zackigen Schwänze
zerschmettert und verschlungen. Nicht selten bemerkt man Pferde und
Rinder, welche, dem Rachen dieser blutgierigen, riesenhaften Eidechsen
entschlüpft, die Spur des spitzigen Zahnes am Schenkel tragen.
Ein solcher Anblick erinnert unwillkürlich den ernsten Beobachter