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Gemüt zufrieden und glücklich; denn der Lohn jeder tüchtigen Arbeit
wird im Gemüt empfunden, aber freilich auch die Strafe jeder leicht¬
sinnigen oder selbstsüchtigen Thätigkeit.
Fragt nun aber jemand noch, in welchem Verhältnis steht das
Gemüt zum Gefühl, so ist die Antwort auf diese Frage im wesent¬
lichen schon oben gegeben. Das Gefühl ist ein Faktor des Gemüts,
und es giebt daher kein Gemüt ohne Gefühl, wohl aber Gefühle
aller Art ohne Gemüt. Das Gefühl für sich ist nichts anderes als
die Kundgebung unserer Persönlichkeit, wenn sie mit etwas anderem
in Berührung kommt. Wie eine Glocke, wenn sie angeschlagen wird,
einen Ton hervorbringt, der gleichsam ihre Innerlichkeit kund giebt,
so ist das Gefühl im allgemeinen eine Kundgebung unserer inneren
Persönlichkeit. Die Anschauung der grünen Farbe der Wiese, sagt
Kant, z. B. ist Sache der Erkenntnis, das Wohlthuende derselben
aber für das Auge ist Sache des Gefühls. Eben so ist die Auf¬
fassung einer Nachricht, die uns mitgeteilt, oder einer Rede, die uns
gehalten wird, Sache der Erkenntnis; aber die Stimmung, in die wir
durch diese Auffassung versetzt werden, ist Gefühl. Es ist aber diese
Stimmung entweder nur angenehm oder unangenehm, entweder Lust
oder Unlust, je nachdem der Gegenstand, der einen Eindruck auf uns
macht, entweder den Bedingungen unseres Lebens entspricht oder ihnen
widerspricht. So gewiß ein Mensch Mensch ist, so gewiß hat er
wenigstens in seinem wachen Leben fortwährend Gefühle und zwar
Gefühle von Lust oder von Unlust; aber nur solche Gefühle sind ein
Ausdruck des Gemütslebens, in welchen ein Mensch für ein anderes
fühlt. Ein solches Gefühl dagegen, welches nur von einem abstrakten
Ich Kunde giebt, ist ein selbstsüchtiges Gefühl, kein Gemütsleben und
keine Gemütsbewegung. Zum Ausdruck des Gemüts wird das Gefühl
erst dadurch, daß das Gefühl von einem anderen, als ich selbst bin,
gleichsam gesättigt ist. Zum Gemüt gehört also ein von mir
wesentlich verschiedener Gegenstand, für welchen ich fühle. Zum Aus¬
druck des Gemüts wird das Gefühl erst dadurch, daß ich in dem
Gefühl über mein inneres Selbst erhoben und zum Träger des Allge¬
meinen werde. Aus Reinhardt, Gemütsleben und Gemütsbildung.
51. Aber das Gedächtnis.
Wenn Menschen darüber klagen, daß sie ein schlechtes Gedächtnis
haben, oder andere ihres besseren Gedächtnisses wegen beneiden, so
pflegen sie häufig die Sache in dem Sinne zu verstehen, als handle
es sich hier um den schadhaften Zustand eines einfachen Gliedes, wie
z. V. einer entzündeten Lunge, eines schwachen Magens u. dgl.