3. Gudrun.
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schleudert, die Leinwand wäscht. Die beiden Kriegsmänner nahen sich den
Jungfrauen, die sich schon auf die Flucht begeben wollen, und bieten ihnen
beit Morgengruß, den sie lange nicht gehört haben, denn bei Frau Gerlind
ist „guten Morgen", „guten Abend" teuer. Sie erkennen Gudrun in der
schmachvollen Niedrigkeit ihrer Kleidung und ihrer Magdarbeit nicht, fragen
sie aus um Land und Leute, vernehmen, daß das Land wohl gerüstet und
stark bewehrt sei, und man hier nur vor einem Feinde, den Friesen (Hege¬
lingen), Besorgnis hege. Während der langen Unterredung stehen die Jung¬
frauen in der herben Kälte zitternd vor den fragenden Helden; diese bieten
mitleidig ihnen ihre Mäntel, sich darin zu hüllen, aber Gudrun entgegnet:
„Da soll mich Gott bewahren, daß an meinem Leibe jemals einer Mannes¬
kleider sähe!" Da fragt auch ihr Bruder Ortwin, ob nicht eine Jungfrau
Gudrun einst als Geraubte hierher gebracht worden sei, und Herwig ver¬
gleicht wiederholt die Zuge der armen Dienstmagd mit den Zügen der edlen
Königstochter, die einst seine Braut war; auch nennt er Ortwin bei Namen.
„Ach, sagt Gudrun, wenn Ortwin und Herwig noch lebten, sie wären längst
gekommen, uns zu retten; ich bin auch eine von den damals Geraubten, die
arme Gudrun aber ist schon lange tot." Da streckt der Seelandskönig seine
Hand aus: „Seid Ihr von den Geraubten, so müßt Ihr das Gold kennen,
das ich an meinem Finger trage, ich bin Herwig genannt, und mit diesein
Ringe ist Gudrun mir zu minnen verlobt worden". Da leuchten die Augen
der Jungfrau in heller Freude auf, und wie gern sie auch die Schmach der
Dienstbarkeit verborgen hätte, sie ist überwältigt: „Das Gold ich wohl er¬
kenne, denn ehedem war es mein; so trage auch ich noch dieses Gold, das
einst mir Herwig sandte." Allein Bruder und Verlobter können nicht anders
glauben, als daß sie, wie das damals sich von selbst verstand, Hartmuts
Gemahlin geworden sei und sprechen ihr Erschrecken darüber aus, daß sie
trotzdem so niedrige Dienste leisten müsse. Als sie jedoch erfahren, warum
sie diese Demütigung, und so lange Jahre hindurch, erdulde, will Herwig
sie auf der Stelle mitnehmen — und es geschieht doch? werden wir fragen.
Nein, es geschieht nicht; dazu waren die alten Sitten zu fest, zu streng und
edel — die Sitten einer alten Zeit, die wir uns zu gern als eine Barbaren¬
zeit denken. „Was mir im Sturm des Krieges ist abgenommen worden",
entgegnet Ortwin, „das will ich heimlich nicht entwenden, und eh' ich heimlich
stehle, was ich mit Waffenkampf erringen muß, eher mögen, hätte ich hundert
Schwestern, sie hier alle sterben." Die beiden Fürsten fahren zuriick nach
ihrer Kriegsflotte, und der Sturm auf die Normannenburg wird vorbereitet;
Gudrun aber, im erwachten stolzen Selbstgefühl und in der freudigen Er¬
wartung einer ehrenvollen Errettung durch Heldenhand, wirft nun die Lein¬
wand, statt sie zu waschen, in die See. Grimmiger Empfang mit schimpf¬
lichen Schlägen erwartet sie von seiten der erbosten Gerlind; um der Mi߬
handlung zu entgehen, stellt Gudrun sich, als wolle sie nunmehr Hartntut