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Alsdann ging es zum fröhlichbunten Gelag und zu Lustbarkeiten
jeglicher Art. Auch das geringe Volk hatte seinen Teil an dem fröh¬
lichen Feste. Der Armen und Kranken, der Pilger und Gefangenen,
der Spielleute, Sänger und Gaukler, die an solchen Tagen von allen
Seiten herangezogen kamen, wartete reiche Gabe. Die Ritter und Knap¬
pen wurden mit Roß und Waffen, mit kostbaren Kleidern, Silber
und Gold beschenkt. Der Kaiser und seine Söhne waren die ersten,
die mit vollen Händen ihre Gaben spendeten. Ihnen zu Ehren und
um sich selbst ob ihres Reichtums und ihrer Milde preisen zu hören,
folgten die Fürsten nach, in Freigebigkeit einander überbietend. Freude
und Wonne ging durch alle Stände des Volkes. Was in der Zeit
Schönes keimte oder blühte, fand sich vereint. Eben jetzt erwachte
die höfische Dichtkunst; ihre frühesten Klänge mögen in Mainz er¬
klungen sein. Heinrich von Veldeck hat diese Tage selbst mitgefeiert
und sie im Gesang verherrlicht. Die Blüte des Rittertums, die Macht
des Reichs, die Größe der Nation, die Glorie des Kaisertums faßte
sich in einem hohen Bilde zusammen. Herr Guiot von Provins wußte,
nach Frankreich heimgekehrt, was er gesehen hatte, nur mit den Hof¬
tagen Alexanders und des Königs Artus zu vergleichen. Es war ein
großes Nationalfest, wie Deutschland nie wieder eins gefeiert hat.
Mit dem Abend des dritten Tages hatten die Festlichkeiten ein
Ende; der Ruf aber von diesen Mainzer Pfingsten ward jetzt in nahe
und ferne Lande von der Menge der Gäste getragen, „die alle froh von
dannen schieden und Lob dem Könige sungen, ein jeder in seiner
Zungen.“
176. Der Gras von Habsburg.
Sämtliche Werke.
Friedrich von Schiller.
Säkularausgabe. Stuttgart und Berlin. 1. Bd. S. 96.
1. Zu Aachen in seiner Kaiserpracht,
im altertümlichen Saale,
saß König Rudolfs cheilige Macht
beim festlichen Krönungsmahle.
Die Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins,
es schenkte der Böhme des perlenden Weins,
und alle die Wühler, die sieben,
wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt,
umstanden geschäftig den Herrscher der Welt,
die Würde des Amtes zu üben.
Deutsches Lesebuch für Mittelschulen. III.
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