3. Plato und Aristoteles.
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schauungsweise ergibt sich auch eine Verschiedenheit der Methoden.
Wer alles unter dem Gesichtspunkte des Zweckes betrachtet, muß, wie
der bildende Künstler, sein Auge stets auf das Ganze der Erscheinung
richten (Synthese), um von diesem aus das einzelne zu verstehen,
während der nach den Arsachen Forschende umgekehrt die Erscheinung
in ihre Elemente zerlegt (Analyse-, um vom einzelnen her zum Ver¬
ständnis des Ganzen zu gelangen. Dort ein bloßes Einordnen des
einzelnen an die richtige Stelle, hier ein Zerlegen des einzelnen in
seine Elemente. Dort künstlerische, hier anatomische Betrachtung.
Dort eine weltfreudige, Unzulängliches ausgleichende und versöhnende
Art (Kosmos = Welt, Schmuck, Schönheit), hier eine Tiefen und
Dunkelheiten eröffnende, pessimistische Stimmung. In dieser Stellung
zur Welt liegt einer der tiefsten Unterschiede zwischen antiker und
moderner Betrachtungsweise.
Indem Aristoteles Erscheinung und Idee, Stoff und Form zu
dem Bilde der einen erfahrbaren Wirklichkeit zusammenschloß, wurde
die Welt der sinnlichen Erkenntnis selbst in allen ihren Teilen zum
würdigen Gegenstände der Wissenschaft. Als er in Athen, in einem
andern Äaine, dem Lyzeum, lehrend, die „peripatetische Schule" gründete,
schuf er damit die erste große Organisation wissenschaftlicher Forschung.
Im Verein mit seinen Schülern suchte er in geteilter Arbeit das Weltall
dem denkenden Geiste zu erschließen. Äierzu rüstete er seine Mitarbeiter
mitderrechtenMethodewissenschaftlicherForfchung aus, indem er sie lehrte,
wie man vom richtigen Beobachten zum richtigen Urteilen kommen könne.
So ist er der Vater der empirischen Methode und der Logik geworden.
Bei dem lebhaften politischen Sinne der Griechen wäre es auf¬
fallend, wenn ihre größten Denker an der Politik vorübergegangen
wären und den Staat nicht in den Bereich ihrer Betrachtungen ge¬
zogen hätten. Was sich freilich in dem Athen ihrer Spätzeit den
Augen darbot, war ein trauriger Rest einstiger Herrlichkeit, die völlig
entartete Demokratie. Durch den schrankenlosen Individualismus, den die
Sophisten gepflegt hatten, war aller gesunde Bürgersinn und alles Interesse
am Gemeinwohl im souveränen Volke von Athen überwuchert worden.
So wandte sich Plato traurig von der Demokratie ab, die seinen
Lehrer gemordet hatte, und baute im Geiste einen Idealstaat, der die
Idee der Gerechtigkeit verwirklichen sollte. Der Grundfehler der
Demokratie war, daß jeder Bürger ohne Rücksicht auf seine Fähig¬
keiten zu allen Ämtern gelangen konnte. Plato faßt den Staat als
einen Menschen im großen auf, als einen Organismus, und weist
demgemäß den Gliedern, ihren Fähigkeiten gemäß, verschiedene Auf¬
gaben zu. Entsprechend den drei seelischen Grundseiten des Individuums
(nach Plato Denken, Wollen und Begehren) gibt es im Staate drei