Full text: (Zweites und drittes Schuljahr) (Teil 1 für Kl. 8 u. 7)

es ist so früh am Tage, daß ich doch zu rechter Zeit ankomme," 
lief vom Wege ab in den Wald hinein und suchte Blumen. Und 
wenn es eine gebrochen hatte, meinte es, weiter hinaus stünde eine 
schönere, und lief danach und geriet immer tiefer in den Wald 
hinein. Der Wolf aber ging geradeswegs nach dem Haufe der Gro߬ 
mutter und klopfte an die Tür. „Wer ist draußen?" „Rotkäppchen, 
das bringt Kuchen und Wein. Mach' auf!" „Drück' nur auf die 
Klinke," rief die Großmutter, „ich bin zu schwach und kann nicht 
aufstehen." Der Wolf drückte auf die Klinke, die Tür sprang auf, 
und er ging, ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Bett der 
Großmutter und verschluckte sie. Dann tat er ihre Kleider an, setzte 
ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge vor. 
Rotkäppchen aber war nach den Blumen herumgelaufen, und 
als es so viel zusammen hatte, daß es keine mehr tragen konnte, 
fiel ihm die Großmutter wieder ein, und es machte sich auf den Weg 
zu ihr. Es wunderte sich, daß die Tür aufstand, und wie es in die 
Stube trat, so kam es ihm so seltsam darin vor, daß es dachte: „Ei, 
du mein Gott, wie ängstlich wird mir's heute zumut, und bin sonst 
so gern bei der Großmutter!" Es rief: „Guten Morgen," bekam aber 
keine Antwort. Daraus ging es zum Bett und zog die Vorhänge 
zurück; da lag die Großmutter und hatte die Haube tief ins Ge¬ 
sicht gesetzt und sah so wunderlich aus. „Ei, Großmutter, was 
hast du für große Ohren!" „Daß ich dich besser hören kann." „Ei, 
Großmutter, was hast du für große Augen!" „Daß ich dich besser 
sehen kann." „Ei, Großmutter, was hast du für große Hände!" 
„Daß ich dich besser packen kann." „Aber, Großmutter, was hast 
du für ein entsetzlich großes Maul!" „Daß ich dich besser fressen 
kann." Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus 
dem Bett und verschlang das arme Rotkäppchen. 
Als der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich wieder 
ins Bett, schlief ein und fing an, überlaut zu schnarchen. Der Jäger 
ging eben an dem Hause vorbei und dachte: „Wie die alte Frau 
schnarcht, du mußt doch sehen, ob ihr etwas fehlt." Da trat er 
in die Stube, und wie er vor das Bett kam, so sah er, daß der Wolf 
darin lag. „Finde ich dich hier, du alter Sünder," sagte er, „ich
	        
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