Full text: [Teil 2 = 3. Schulj] (Teil 2 = 3. Schulj)

Y. Aus unserm Herrscherhaus». 
144. Warum Kaiser Wilhelm I. die Kornblumen so liebte. 
1. Es war im Sommer des Jahres 1807. In dem Garten des 
„Luisenwahl" genannten Hauses bei Königsberg spielten die Prinzen und 
Prinzessinnen, und die Königin sah ihren kindlichen Spielen zu. Da trat 
ein armes Mädchen in dürftiger Kleidung in den Garten. In der Hand 
hielt sie einen Strauß frisch gepflückter Kornblumen; ihre Augen standen 
voll Tränen. „Schöne Frau," sprach das Kind, „kaufen Sie mir doch 
die Blumen ab! Meine Mutter liegt zu Hanse krank und kann nichts 
verdienen. Gern möchte ich einige Pfennige zusammenbringen, um meiner 
guten Mutter zu helfen." 
2. Die Königin war von der Liebe des Kindes tief gerührt. Sie be¬ 
schenkte das Mädchen reichlich, das jetzt erst erkannte, daß es mit der 
Königin gesprochen hatte. Dann rief sie die Kinder herbei. Sie zeigte 
dem Prinzen Wilhelm und der Prinzessin Charlotte, wie man ohne Faden 
und Schere leicht einen Kranz aus diesen Blumen flechten kann; sie 
machte die Kinder darauf aufmerksam, wie schön diese blauen Blumen 
sind, und fügte hinzu, wie man sich an den Gaben Gottes erfreuen soll. 
Dann wand sie Kränze von den Kornblumen, und die Kinder schauten 
mit Freuden zu. Aber die Königin mochte wohl an ihre traurige Lage, 
an die unsichere Zukunft des Staates und ihrer Kinder denken, und 
Tränen rannen aus ihren Augen und sielen auf den Kranz nieder. Dem 
Prinzen Wilhelm ging das tief zu Herzen; er ging zur Mutter und suchte 
sie durch Liebkosungen zu trösten. Dabei setzte ihm die Mutter den von 
Tränen benetzten Kranz aufs Haupt. Der Prinz war damals erst 
zehn Jahre alt, aber er hat diesen Vorfall niemals vergessen. Selbst im 
hohen Alter glaubte er die Tränen seiner Mutter in den Korn¬ 
blumen erglänzen zu sehen und liebte diese Blumen deshalb mehr als 
alle andern. 
3. Während der Zeit der französischen Herrschaft, als viele vornehme 
französische Militärpersonen in Berlin anwesend waren, ließ Friedrich 
Wilhelm III. ein Hoffest veranstalten und auch die letzteren dazu ein¬ 
laden. Dieselben erschienen mit ihren Damen und entfalteten in den schönen 
Kappey u. Koch, Deutsches Lesebuch für Mittelschulen. II. 12
	        
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