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Die Kraniche des Ibykus.
14. Lin schwarzer Mantel schlägt die Lenden;
sie schwingen in entfleischten Händen
der Fackel düsterrote Glut;
in ihren Wangen fließt kein Blut;
und wo die Haare lieblich flattern,
um Menschenstirnen freundlich wehn,
da sieht man Schlangen hier und Nattern
die giftgeschwollnen Bäuche blähn.
15. Und schauerlich, gedreht im Kreise,
beginnen sie des Hymnus9) Weise,
der durch das Herz zerreißend dringt,
die Bande um den Frevler schlingt.
Besinnungraubend, herzbetörend
schallt der Erinnyen10) Gesang,
er schallt, des Hörers Mark verzehrend,
und duldet nicht der Leier Klang:
16. „Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle,
bewahrt die kindlich reine Seele!
Ihm dürfen wir nicht rächend nahn,
er wandelt frei des Lebens Bahn.
Doch wehe, wehe, wer verstohlen
des Mordes schwere Tat vollbracht!
Wir heften uns an seine Sohlen,
das furchtbare Geschlecht der Nacht.
17. Und glaubt er fliehend zu entspringen,
geflügelt sind wir da, die Schlingen
ihm werfend um den flücht’gen Fuß,
daß er zu Boden fallen muß.
So jagen wir ihn ohn’ Ermatten,
— versöhnen kann uns keine Reu’ -—
ihn fort und fort bis zu den Schatten
und geben ihn auch dort nicht frei.“
18. So singend, tanzen sie den Reigen;
und Stille wie des Todes Schweigen
liegt überm ganzen Hause schwer,
als ob die Gottheit nahe wär'.
9) Festgesang. 10) Rachegöttinnen.