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III. Verkehr mit dem Nächsten. 
es Abschied nahm, um, wie es sagte, nach dem Münstertal zu wandern, 
schenkte ihm Hilarius noch eine blanke Silbermünze und gab ihm E߬ 
sachen mit auf die Reise. 
Kurze Zeit, nachdem es sich entfernt hatte, sprach die Köhlerfrau 
zu ihrem Gatten: „Lieber Mann, wollte Gott, daß wir uns an dem 
armen Magdlein nicht versündigten." — „Wieso?" fragte Hilarius. — 
„Sieh einmal, wie der Himmel rabenschwarz ist; ein Gewitter wird 
bald losbrechen; was wird dann aus dem armen Kinde werden, im 
Falle es die Sennhütte des Rothenbach noch nicht erreicht hat? Um¬ 
kommen muß es in dem undurchdringlichen Walde." — „Frau, du hast 
Recht," rief der Köhler erschrocken aus; „wie konnten wir doch so unbe¬ 
sonnen sein und das gute Mädchen bei einbrechender Nacht fortgehen lassen!" 
„Wir könnten es vielleicht noch einholen und in unsere Wohnung 
zurückführen; da hatte es eine sichere Herberge," meinte Walburgis. 
„Gut denn, gehen wir ihm aber ohne Verzug nach!" riet der Köhler, 
indem er sich erhob. 
Beide schlugen den Pfad ein, den sie dem Kinde vorher selbst 
angewiesen hatten. Er führte sie zuerst eine Viertelstunde bergab bis an 
die Thur, die sie aus einem schmalen Steg überschritten. Bald waren 
sie im Rothenbacher Wald und gingen keuchend aufwärts. Nun aber 
brach der Sturm los und zog heulend durch die Wipfel der hohen 
Tannen. Die hundertjährigen bemoosten Bäume bogen sich unter seiner 
Wucht hin und her, und schon ließ sich die dumpfe Stimme des Donners 
aus der Ferne vernehmen. — „Es wird schlimm werden," meinte 
Hilarius. — „Doch fürchten wir uns nicht; wir sind auf dem Wege, um 
ein gutes Werk zu tun; was auch kommen mag, reuen soll es uns nicht," 
erwiderte seine Frau. 
Bald fuhr ein mächtiger Blitzstrahl über den Berggrat und 
erleuchtete die ganze Umgebung, so daß die Sennhütte des Rothenbach 
weit oben in den Höhen sichtbar wurde. Die nächtlichen Wanderer 
waren bereits am jenseitigen Saume des Rothenbacher Waldes ange¬ 
kommen, wo die Bergweiden beginnen und die Thur zum kleinen Büch¬ 
lein geworden ist. „Wo mag wohl das Mädchen sein?" ries Hilarius 
aus; „beim Leuchten des Blitzes hätten wir es gewahren sollen; über 
uns ist ja kein Gebüsch mehr, und es ist kaum möglich, daß es schon 
die Hütte erreicht hat; denn wir sind tapfer gelaufen. Übrigens denke 
ich erst jetzt daran, daß das Kind doch wohl kein Obdach dort oben in 
der Sennerei finden kann, denn vor einigen Tagen ließen die Raubritter 
des Schlosses Wildenstein die Herde gewaltsam wegführen, und die 
Sennen, nirgends ihres Lebens sicher, sind geflohen; sie haben jedenfalls 
die Hütte geschlossen. Das Mädchen könnte den Riegel nicht sprengen, 
also auch nicht eindringen."
	        
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