VI.
Aus dem Menschenleben.
169. Das Kind am Brunnen.
rau Amme, Frau Amme, das Kind ist erwacht!
Doch die liegt ruhig im Schlafe.
Die Voglern zwitschern, die Sonne lacht,
am Hügel weiden die Schafe.
2. Frau Amme, Frau Amme, das Kind steht auf,
es wagt sich weiter und weiter!
Hinab zum Brunnen nimmt es den Lauf;
da stehen Blumen und Kräuter.
3. Frau Amme, Frau Amme, der Brunnen ist tief —
sie schläft, als läge sie drinnen —.
Das Kind läuft schnell, wie es nie noch lief;
die Blumen locken’s von hinnen.
4. Nun steht es am Brunnen, nun ist es am Ziel,
nun pflückt es die Blumen sich munter;
doch bald ermüdet das reizende Spiel,
da schaut’s in die Tiefe hinunter.
5. Und unten erblickt es ein holdes Gesicht
mit Augen, so hell und so süsse.
Es ist sein eignes, das weiss es noch nicht. —
Viel stumme, freundliche Grüfse!
6. Das Kindlein winkt; der Schatten geschwind
winkt aus der Tiefe ihm wieder.
„Herauf, herauf!“ so meint’s das Kind;
der Schatten: „Hernieder, hernieder!“
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