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als wenn mit dem Ringe der volle Segen ins Hans gekommen wäre, 
denn Scheuern und Kammern wurden von Jahr zu Jahr voller, und 
nach einer längern Reihe von Jahren war aus dem kleinen, armen Bauer 
ein großer, dicker Bauer geworden, der den Tag über mit den Knechten 
schaffte und arbeitete, als wollte er die ganze Welt verdienen, nach der 
Vesper aber behäbig und zufrieden vor der Haustür saß und sich von den 
Leuten guten Abend wünschen ließ. So verging Jahr um Jahr. Dann 
und wann, wenn sie ganz allein waren und niemand es hörte, erinnerte 
zwar die Frau ihren Mann immer noch an den Ring und machte ihm 
allerhand Vorschläge. Da er aber jedesmal erwiderte, es habe noch 
vollauf Zeit, und das Beste falle einem stets zuletzt ein, so tat sie 
es immer seltener, und zuletzt kam es kaum noch vor, daß auch nur noch 
von dem Ringe gesprochen wurde. Zwar der Bauer selbst drehte den 
Ring täglich wohl zwanzigmal am Finger um und besah sich ihn, aber er 
hütete sich, einen Wunsch dabei auszusprechen. 
Und dreißig und vierzig Jahre vergingen, und der Bauer und seine 
Frau waren alt und schneeweiß geworden, aber der Wunsch war immer 
noch nicht getan. Da erwies ihnen Gott eine Gnade und ließ sie beide 
in einer Nacht selig sterben. 
Kinder und Kindeskinder standen um ihre beiden Särge und weinten, 
und als eins von ihnen den Ring abziehen und aufheben wollte, sagte 
der älteste Sohn: 
„Laßt den Vater seinen Ring mit ins Grab nehmen. Er hat sein 
Lebtag seine Heimlichkeit mit ihm gehabt. Es ist wohl ein liebes Andenken. 
Und die Mutter besah sich den Ring auch so oft; am Ende hat sie ihn 
dem Vater in ihren jungen Tagen geschenkt." 
So wurde denn der alte Bauer mit dem Ringe begraben, der ein 
Wunschring sein sollte und keiner war und doch so viel Glück ins Haus 
gebracht hatte, als ein Mensch sich nur wünschen kann. Denn es ist eine 
eigene Sache mit dem, was richtig und was falsch ist; und schlecht Ding 
in guter Hand ist immer noch sehr viel mehr wert als gut Ding in 
schlechter. Richard Leander (Richard v. Volkmann). 
6V. Das Paar Pantoffeln. 
u Bagdad lebte ein alter Kaufmann, namens Abu Käsern, 
der wegen seines Geizes sehr berüchtigt war. Seines Reich- 
ungeachtet waren seine Kleider nur Lumpen und Lappen, 
sein Turban ein grobes Tuch, dessen Farben man nicht mehr unter¬ 
scheiden konnte. Unter allen seinen Kleidungsstücken aber erregten seine 
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