Full text: [Teil 2 = Kl. 7] (Teil 2 = Kl. 7)

149" 
„Vornehm?" sagte die Stopfnadel; „nein, aber hochmütig! Es 
waren fünf Brüder, alles geborene „Finger". Sie hielten sich stolz, 
nebeneinander, obgleich sie von verschiedener Länge waren: der äußerste, 
der Däumling, war kurz und dick, der ging außen vor dem Gliede, hatte 
aber auch nur ein Gelenk im Rücken und konnte nur eine Verbeugung 
machen; aber er sagte, wenn er vom Menschen abgehackt würde, so taugte 
der nicht mehr zum Kriegsdienste. Leckermaul, der zweite Finger, kam 
sowohl in Süßes wie in Saures, zeigte auf Sonne und Mond und 
gab den Druck, wenn sie schrieben. Langmann, der dritte, sah die 
anderen alle über die Achsel an. Goldrand, der vierte, ging mit einem 
goldenen Gürtel um den Leib, und der kleine Spielmann tat gar nichts, 
und darauf war er stolz. Prahlerei war's, und Prahlerei blieb's, und 
darum ging ich fort!" 
„Und nun sitzen wir hier und glitzern!" sagte die Flaschenscherbe.. 
In demselben Augenblicke kam mehr Wasser in den Gossenstein; 
es strömte über seine Grenzen und riß die Flaschenscherbe mit sich fort. 
„So, nun wurde die befördert!" sagte die Stopfnadel. „Ich bleibe 
sitzen, ich bin zu sein; aber das ist mein Stolz, und der ist achtbar!" 
Und sie saß so stolz da und hatte viele große Gedanken. 
„Ich möchte fast glauben, ich wäre von einem Sonnenstrahle geboren,, 
so fein bin ich! Kommt es mir doch auch vor, als ob die Sonnen¬ 
strahlen mich immer unter dem Wasser suchten. Ach, ich bin so fein,, 
daß meine Mutter mich nicht finden kann. Hätte ich mein altes Auge,, 
welches abbrach, ich glaube, ich könnte weinen; aber ich tät's nicht; 
weinen ist nicht fein!" 
Eines Tages lagen ein paar Straßenjungen da und wühlten im 
Rinnstein, wo sie alte Nägel, Pfennige und ähnliche Sachen fanden. 
Es war schmutzige Arbeit, aber es war nun ihr Vergnügen. 
„Au!" schrie der eine, der sich an der Stopfnadel stach, „das ist 
aber ein Kerl!" 
„Ich bin kein Kerl, ich bin ein Fräulein!" sagte die Stopfnadel; 
aber es hörte niemand. Der Siegellack war abgegangen, und schwarz 
war sie auch geworden; aber schwarz macht schlanker, und da glaubte 
sie, sie sei noch feiner als früher. 
„Da kommt eine Eierschale gesegelt," sagten die Jungen, und dann 
steckten sie die Stopfnadel fest in die Eierschale. 
„Weiße Wände und selbst schwarz," sagte die Stopfnadel, „das 
kleidet gut! Nun kann man mich doch sehen! Wenn ich nur nicht 
seekrank werde; denn dann zerbreche ich!"
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.