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haben der Gesamtheit gegenüber einen begründeten Anspruch auf ein
höheres Maß staatlicher Fürsorge, als ihnen bisher hat zuteil werden
können."
Dem großen Kaiser war es nicht vergönnt, diese segensreichen Ein¬
richtungen zu Ende zu führen, aber sein erhabener Enkel, unser jetziger
Kaiser Wilhelm H., hat das Werk seines hochseligen Großvaters erfolgreich
weitergeführt. Durch die Reichsversicherungsordnung vom Jahre
1911 sind diese Bestrebungen zu einem vorläufigen Abschluß gelangt. Die
Reichsversicherung umfaßt die Krankenversicherung, die Unfallversicherung
und die Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung.
Alle diese Versicherungen legen dem Staate, den Arbeitgebern und
den Arbeitnehmern Pflichten auf, während die materiellen Vorteile allein
den Arbeitnehmern zugute kommen.
8. Halter, Bundesrat, Reichstag. von i>ans von Daddten.
Deutsches Lesebuch für höhere Schulen. Straßburg 1904. IV. Teil. 8. 170,
1.
Iitls im Jahre 1866 der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland
durch die Besiegung Österreichs und seiner Bundesgenossen entschieden
worden war, gründete Preußen den Norddeutschen Bund, dem alle Staaten
nördlich der Mainlinie beitraten. In dem siegreichen Kriege ganz Deutsch¬
lands gegen Frankreich wurden dann auch mit Baden, Hessen südlich vom
Main, Bayern und Württemberg Verträge abgeschlossen, die am 1. Januar
1871 in Kraft traten, und damit wandelte sich der Norddeutsche Bund
in das Deutsche Reich um. In der Verfassung dieses Reiches hat Otto
von Bismarck, der größte Staatsmann des 19. Jahrhunderts, mit richtigem
Blick die Formen geschaffen, die uns den Segen einer mächtigen, über
den Parteien stehenden Monarchie gewähren und zugleich der Volks¬
vertretung gebührenden Anteil an der Gesetzgebung sichern. Das Deutsche
Reich ist ein Staat, dessen Herrschaft alle Bundesstaaten unterworfen sind,
und der ihnen zugleich die Fortdauer ihrer Selbständigkeit sichert. Das
Gedeihen dieses Staates aber hängt von drei Hauptfaktoren ab, vom
Kaiser, vom Bundesrate und vom Reichstage.
Der Kaiser vereinigt in seiner Person zwei rechtlich zu scheidende
Eigenschaften: als König von Preußen ist er ein, und zwar das mächtigste
Glied des Reiches und als solches in dem Bundesrat vertreten, als
Deutschem Kaiser steht ihm ein eigener Anteil an der Reichsgewalt zu.
Er steht nicht unter und nicht über dem Bundesrate, sondern gleichberechtigt
neben ihm. Die Reichsverfassung sagt: „Das Präsidium des Bundes
steht dem Könige von Preußen zu, der den Namen Deutscher Kaiser
führt." Es gehört zu den wichtigsten Grundsätzen unserer Verfassung,
daß der König von Preußen zugleich Deutscher Kaiser ist.