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Fünfte Periode, von 1500—1648.
B. pic lyrische Woche.
§ 3.
Der Meistergesang, der in der vorigen Periode sich entwickelte
(s. I, 203), setzt sich auch noch in diesem Zeitraume fort. Er bleibt
aber meistens nnpoetisch in seinem fast ganz auf religiöse Stoffe beschränk¬
ten Inhalte, steif und ungeschickt in seiner Behandlungsweise; selbst ein
Hans Sachs mit seinem reichen Talente vermag nicht die geistlose, in
Künsteleien erstarrte Form zu beseelen und zu irgendwelcher Blüte zu
bringen.
Dagegen entwickelt sich das schon in der vorigen Periode aufgeblühte
Volkslied (s. I, 206) zur reifsten und reichsten Frucht. In seiner
Natürlichkeit und Ursprünglichkeit, in der Wahrheit seiner Empfindung,
in der das deutsche Gemüt völlig ausklingt, zeigt es wahre Poesie von
hohem Werte. „Den epischen wie den lyrischen Gesang übte alles Volk
und überall, bei der Arbeit wie zur Erholung, der Jäger im Wald, der
Landmann auf dem Felde und der Bergknappe im Schacht, der Reiter
und der Landsknecht vor dem Kampf und nach dem Siege, und Jüng¬
linge und Mädchen abends im Ring und auf den Gassen."
Neben dem weltlichen Volksliede blüht das Kirchenlied auf,
welches im Dienste der frommen Erhebung der ganzen Gemeinde vorzugs¬
weise von den Protestanten gepflegt wurde. Luther selbst ist der beste
Dichter von Kirchenliedern. „Seine Lieder atmen eine gesunde Kraft und
Freudigkeit des Glaubens, haben meist die ungesuchte Kunst der Volksart,
sind nur selten getrübt durch unlyrische Lehrhaftigkeit." Von diesen in
echt männlichem Tone gehaltenen Liedern, die zumeist in den Jahren
1523 und 1524 entstanden, sind nur fünf frei von ihm verfaßt, die
anderen sind teils meisterhafte Übersetzungen älterer lateinischer Hym¬
nen, teils Umdichtungen von Psalmen („Eine feste Burg ist unser
Gott" mit eigens von Luther komponierter Melodie, „Aus tiefer Not
schrei' ich zu dir", „Ach Gott vom Himmel, sieh darein"), teils Um¬
arbeitungen von alten deutschen geistlichen Volksliedern („Nun bitten wir
den Heiligen Geist").
Neben Luther verdienen Erwähnung als Dichter von Kirchenliedern:
Paul Speratus (ch 1554), Nikolaus Decius (ch 1541), Erasmus Alberus
(ch 1553), Burkhard Waldis (ch um 1560), Bartholomäus Ringwaldt
(ch um 1600).
8 4.
Außer lyrischen Volks- und Kirchenliedern mögen auch einige epische
oder historische Volkslieder hier ihren Platz finden.