Full text: Geschichte von Hessen insbesondere Geschichte des Großherzogthums Hessen und bei Rhein

Wolfsbagcn, Thüringen im Werra i ha l und im Schmalkaldischen. Im Allgemeinen 
treu und bieder, rührig und fleißig, neigt sich der Nieterhesse, gehoben und gefordert 
durch zahlreichere Städte, sowie durch Wasser und Landstraßen, einem regen, gcwcrb- 
thätigen Leben zu. Dagegen ist der Oberhesse vorzüglich in den Thälern der Schwalm, 
der Ohm und der Lahn nur Landwirth. An Biederkeit und Fleiß dem Nicderhessen 
nicht nachstehend, an Ausdauer denselben noch übertreffend, ist derselbe noch gerader 
und derber, zugleich aber auch wohlhabender als dieser. Ausgezeichnet durch seine» 
kräftigen Körperbau und seine einfache Lebensweise, hängt er mit Liebe am Herge¬ 
brachten und bewahrt darum auch noch eine Volköthümlichkeit, wie sie nicht häufig 
sich wieder findet. Insbesondere verdient der Schwälmer Erwähnung. Er zeigt uns 
eine hohe kräftige Gestalt, ein offenes schönes Gesicht und ein meist bläuliches Auge. 
Sein Haar ist in der Regel blond und fällt in langen Ringeln über den Nacken 
herab, erst in neuerer Zeit hat man hin und wieder begonnen, dieselben zu kürzen. 
Er ist grad bis zur Grobheit, aber bieder und brav. Treu und Glauben ist bei 
den Schwälmern noch heimisch; machen sie sich ein Dahrleh», so geschieht dies in der 
Regel auf das Wort oder eine» einfachen Handschein, und es ist schon ein Zeichen 
von Kreditlvsigkeit, wenn der Schuldner die Verbriefung gerichtlich machen muß. Der 
Schwälmer ist ferner unendlich fleißig und sparsam; fest hängt er am Alten. 
Roch ist der Kaffee bei ihm nicht heimisch geworden, und wie der Vater und der 
Großvater es that, so genießt auch der Sohn und der Enkel noch seine aus Hafer 
bereitete Morgensuppe; noch feiert der Schwälmer seine Hochzeit mit allen Förmlich¬ 
keiten, und ein solches Fest, an dem oft die ganze Umgegend Theil nimmt, dauert 
mehrere Tage hindurch; feine Kirchweihen sind »och wahre Volksfeste und eine Menge 
von Gebräuchen findet noch statt, die alle den Stempel eines hohen Alterthums tra¬ 
gen. So findet man an der Schwalm den in der Schweiz üblichen Ehilgang, hier 
bas „Fenstern" genannt (wie im östreichischen Alpenland), die Verlobung geschieht 
nicht durch einen Wechsel von Ringen, sondern der Bräutigam gibt der Braut eine 
Summe Geldes, mehr oder weniger, je nachdem feine BermögeNSverhältniffe sind, 
die Braut dem Bräutigam dagegen ein feines Hemd. Noch findet man das „Lehen¬ 
ausrufen." In der-WaldpurgiSnacht nämlich gehen die Bursche, alle mit Peitschen 
versehen, vor das Dorf und einer trennt sich vom Haufen und stellt sich wo möglich 
etwas erhöht, entweder auf eine Anhöhe oder einen Baum, und ruft: 
„Hier steh' ich auf der Höh'», 
Und rufe aus das Leh'n, das Leh'n, das erste (zweite) Leh'n, 
Daß eS die Herren recht wohl versteh'», 
Wem soll das sein?" 
Die übrige Versammlung antwortet dann mit dem Namen eines Burschen und 
eines Mädchens, und zwar mit dem Zusatze: „In diesem Jahr noch zur Ehe." Bei 
jedem einzelnen Paare wird mit den Peitschen geschnappt und so fortgefahren, bis 
die ganze Reihe der Heirathsfähigen vertheilt worden ist. So ernst die Bedeutung 
dieses Spieles auch früher gewesen sein mag, so beschränkt sich dieselbe koch nur noch 
darauf, daß die solchergestalt Zusammengegebenen für das ganze nächste Jahr als 
Tanzpaar verbunden sind. Die Schwälmer haben einen eigenen Nationaltanz, der 
deshalb auch der „Schwälmer" genannt wird, aber jetzt mehr und mehr in Abgang 
kommt. Die Bauerngüter an der Schwalm sind alle geschlossen, nicht etwa durch 
Meierschaft, denn sie sind meist Allodien, sondern durch Herkommen. Der älteste 
Sohn ivlgt dem Vater und die nachgebörenen Kinder werden mit einem Geringen abge¬ 
funden. Aufdiesem Verhältnisse beruht dann zum Theil auch der Wohlstand der Schwälmer. 
Ein anderes Bild gibt jedoch der Bewohner des nördlichen Obcrheffens (des Kreises 
Frankenberg). Ohne eigenes Volksthum, welches mancherlei Einflüsse schon früh ver¬ 
wischten, lebt er auf einem rauhe», undankbaren Boden, zu arm, zugleich aber auch 
zu wenig thätige um durch Industrie neue Erwerbsquellen begründen zu können. Der
	        
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