§. 71. Bevölkerungsverbältnisse.
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eine Cultur, die sich bereits überlebt hatte. Dagegen wurde durch die Be¬
kanntschaft mit dein von Griechen und Römern geleisteten dem kräftigen
arabischen Geiste eine neue frische Nahrung zugeführt, die seine in der
Abgeschiedenheit und Einförmigkeit der Heimat bisher brach liegende
Kräfte zu den schönsten Entwickelungen führte. Besonders waren es
die realen Wissenschaften, welche von ihnen gepflegt wurden. In Cor-
dova, Kairo, Bagdad, Samarkand blüheten Mathematik. Astronomie,
Naturwissenschaften (Chemie!), Geographie, Geschichte, wie kaum je zuvor,
und der unruhige Wandertrieb, der das Volk auch hier nieht verließ,
trug außerordentlich zur Verbreitung dieser Kenntnisse bei. Gleiehe
Pflege ward den Künsten zu Theil, von denen sich die Poesie allerdings
meist nur in den niederen Gattungen des Liedes, der Spruchdichtung,
der Fabel und des Märchens bewegte. Von den bildenden Künsten
wurde nur die Architektur gepflegt; das heimatliche Zelt mit seinen
bunten, gewirkten Teppichen wurde das Vorbild der kühnen, schmuck¬
reichen arabischen Bauweise. Zti gleicher Zeit wurden die Araber,
wie einst im Alterthume die stammverwandten Phönieier, die Vermittler
des Handels zwischen Orient und Oeeident, und dadurch auch die Ver-
niittler nützlicher Kenntnisse; so haben sie z. B. den Gebrauch der
Ziffern aus Indien zu uns gebracht und ihre Schriftzeichen den Türken,
Arabern und Malayen mitgetheilt. Diese herrliche Entwickelung fand
aber bald ihren Abschluß; äußerlich durch die Eroberungen der Türken,
innerlich durch die Schranken, welche im Wesen des Islam liegen,
besonders in dem Glauben an das rücksichtslos waltende Schicksal. Heute
ist bei ihnen alles in Formelwesen erstarrt, ihre Industrie zieht sich über¬
all vor der europäischen zurück, und der wilde Fanatismus, mit welchem
sie sich, namentlich auf der Halbinsel, dem Eindringen des Christen¬
thums und europäischer Civilisation entgegenstemmen, kaun die innere
Fäulnis, welehe die ganze muhamedanische Welt ergriffen hat, nicht heilen.
II. Mongolische Raffe.
Die hieher gehörenden, sehr zahlreichen Völker nehmen hauptsäch-
lieb den Norden, Osten und Südosten des Erdtheils ein, doch sind auch
einzelne Stämme (Türken) bis nach Kleinasien, Europa und Nordafrika
vorgedrungen. Wir unterscheiden folgende Sprachstämme:
A. Der chinesische Sprachstamm. Die hierher gehörenden
Sprachen sind einsilbige, s. S. 87, können also bei der Unveränderlich¬
keit ihrer Wortformen durch Wortschrift geschrieben werden, so daß jede
Wurzel ihr eigenthümliches Zeichen bekommt. Eine solche Schrift ist
bekanntlich bei den Chinesen im Gebrauch, und da die Beziehungen nur
durch die gegenseitige Stellung der Wurzeln angedeutet werden, so besteht die
ganze Grammatik dieser Sprache nur in Regeln über die Stellung der
Wörter. In den Wörterbüchern können die Wörter natürlich nicht
nach den Buchstaben ihrer Laute geordnet werden; man ordnet sie viel¬
mehr nach der Zahl der Striche, aus denen jedes Wortbild zusammen¬
gesetzt ist. Man kann, wie sieh ans dem gesagten leicht ergibt, chinesische