Reich und Gliedstaaten 
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Die Mitglieder des Reichstages sind nach Art. 29 Vertreter des 
gesamten Volkes und an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden. 
Sie stehen insofern im Gegensatze zu den Bundesratsbevollmächtigten, 
die instruktionsgemäß stimmen müssen. Die Abstimmung eines Reichs¬ 
tagsmitgliedes kann nie deshalb für ungültig erklärt werden, weil 
sie dem Willen der Wählerschaft nicht entspricht. Natürlich nimmt 
jeder Abgeordnete bei seinem Wirken im Reichstage, in den Kom¬ 
missions- und in den Fraktionssitzungen auf die Wünsche und Mei¬ 
nungen seiner Wähler Rücksicht. Ein Abgeordneter, der sich mit den 
Ansichten seiner Wähler nicht mehr eins weiß, kann zwar nach dem 
Buchstaben des Gesetzes seinen Sitz innebehaltcn und gültig weiter 
wirken; er wird das aber nicht tun, weil er sich auf die Dauer 
vor der Öffentlichkeit nicht wohl fühlen wird. 
Nach dem ursprünglichen Wortlaute des Art. 32 der Verfassung 
durften die Mitglieder des Reichstags als solche keine Besoldung 
oder Entschädigung beziehen. Diese Vorschrift sollte ein kleines Gegen¬ 
gewicht gegen die Allgemeinheit und Gleichheit des Reichstagswahl- 
rechls bilden. Unter der Herrschaft des allgemeinen Landrechts für 
die preußischen Staaten hat der preußische Staatöfiskus gegen sozial¬ 
demokratische Abgeordnete mit Erfolg auf Herauszahlung der Partei¬ 
diäten geklagt. Durch das Neichsgesetz vom 21. Mai 1906 wurde 
Art. 32 der Verfassung geändert; er lautet jetzt: „Die Mitglieder 
des Reichstags dürfen als solche keine Besoldung beziehen. Sie er¬ 
halten eine Entschädigung nach Maßgabe des Gesetzes". In einem 
besonderen Reichsgesetze ist gleichzeitig den Reichstagsabgeordneten 
eine jährliche Aufwandentschädigung von 3000 Mark zugesprochen 
worden. An dieser Summe werden für jeden Tag, an dem ein Mit¬ 
glied der Plenarsitzung fernbleibt, 20 Mark gekürzt. Ferner sind die 
Reichstagsabgeordneten während der Dauer der Sitzungsperiode so¬ 
wie acht Tage vorher und nachher zu freier Fahrt auf den deut¬ 
schen Eisenbahnen berechtigt. Übrigens genießen in einzelnen Bundes¬ 
staaten die Landtagsabgeordneten seit Jahrzehnten entsprechende Ver¬ 
günstigungen. In Frankreich beziehen die Deputierten wesentlich 
höhere Iahrgelder als die Mitglieder des deutschen Reichstages. 
Der Reichstag muß alljährlich berufen werden. Das Reich hat ein¬
	        
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