Full text: [Abteilung 4 = Für Unter-Tertia, [Schülerband]] (Abteilung 4 = Für Unter-Tertia, [Schülerband])

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II. Sagen. 
trefflich mundete. Auch den Äofleuten und Kriegern füllte sie fleißig 
die Äörner, und sie tranken, bis sie berauscht auf den Seffeln und 
Bänken einschliefen. 
Der König ruhte in seinem Prunkgemach auf weichen Kissen. Der 
Rausch umfing seine Sinne und gaukelte ihm Freudenbilder vor; doch 
glaubte er dazwischen auch Gunnars Lied von den Rornen und Disen 
zu hören. Lind jetzt stieg sie herauf wie aus dem Boden, von grauen 
Schleiern umwallt — war es die richtende, rächende Rorne? War es 
Gudrun, welche die starren, stieren Augen auf ihn richtete? Ja, die 
Königin stand vor ihm. „Atli," sagte sie, „einst in glücklicher Jugend¬ 
zeit hatte ich ein sanftes, weiches, liebendes Frauenherz; das Schicksal 
hat mir dafür das Äerz einer Wölfin in die Brust gelegt. Daher 
wundere dich nicht über das, was geschehen ist und geschieht! Die 
Schalen, aus denen du heute trankst, sind die Schädel deiner und meiner 
Söhne, die ich geschlachtet habe. Der Wein, den du schlürftest, war 
mit ihrem Blute gemischt. Das Gericht, das du speistest, waren ihre 
Äerzen. Ich stehe vor dir als Rächerin, du mußt sterben. . ." 
Ein Dolch blinkte in ihrer Äand. Er wollte sich aufrichten, aber 
der Stahl durchbohrte seine Brust. 
Gudrun schritt aus dem Gemache nach der Äalle, wo die Äofleute 
ihren Rausch verschliefen. Sie nahm eine der noch brennenden Fackeln 
und zündete das Lolzwerk an. Als die Flammen aus dem Palast 
emporschlugen, stand sie am Meer. Freyjas Stern schien im Osten 
herauf, und sein Spiegelbild blickte bewegt aus der Tiefe. „Sigurd," 
sagte sie, „sendest du mir den Strahl als Boten, daß ich zu dir komme? 
Ich weiß nicht, ob es geschehen kann, da meine Seele zu schwer be¬ 
lastet ist. Aber ich will ja nur ausruhen von dem langen Gang. Ran, 
raffende Göttin, gib mir einen kleinen Raum, wo ich Ruhe finde!" 
Sie sprang ins Meer; die Wellen zogen ihre Kreise um die Stelle 
weiter und weiter und ebneten sich wieder und schwanden. 
13. Crothilds Verlobung (493 n. Chr.). 
Von den Brüdern Grimm. 
Dem König Chlodowich hatten Botschafter von der Schönheit 
Crothildens, die am burgundischen Königshofe lebte, vieles erzählt. Er 
sandte also Aurelian, seinen Busenfreund, mit Gaben und Geschenken 
ab an die Jungfrau, daß er ihre Gestalt genauer erkunde, ihr des 
Königs Willen offenbare und ihre Neigung erforsche. Aurelian ge¬ 
horchte, machte sich auf nach Burgund, und wie er bald an die könig-
	        
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