186
Kaum aber war das geschehen und der kühne Hagen durch Weibes¬
hand gefallen, so durchblitzte auch schon das Schwert des alten Hildebrand
die Luft, und Kriemhild sank zu Tode getroffen an der Leiche ihres
Todfeinds zu Boden nieder.
5 „— — — Und Dieterich mit Etzel zu weinen laut begann,
sie klagten voll von Leide, daß tot sei Freund und Mann.
Mit Leide war beendet des Königs Festlichkeit,
wie ja die Freude Leides als allerletztes gern verleiht!"
Kassebeer und Sohnrey.
io 195. Gudrun.
1. Im Lande Hegelingen, an den Gestaden der Nordsee, herrschte
als König ruhmvoll und glücklich der tapfere Hettel, vermählt mit der
schonen Hilde aus Jrenland. Zwei Kinder, Ortwin und Gudrun,
waren der Stolz und die Freude des edeln Köuigspaars. Als Gudrun
15 zu einer herrlichen Jungfrau herangewachsen war, schickte Ludwig, der
König vom Normannenland, Gesandte an König Hettel und ließ für
seinen Sohn Hartmut um Gudrun werben. Die Brautwerber aber
mußten mit dem Bescheide zu ihrem Herrn zurückkehren, daß Gudrun
einem Manne von geringerm Ansehen nicht vermählt werde, und König
20 Ludwig war Hildens Bater lehnspflichtig gewesen. Nicht lange danach ward
Gudrun dem mutigen und edeln König Herwig von Seeland verlobt.
Da entbrannte König Ludwig in grimmem Zorne und zog gegen
Hettels Burg. Dieser war eben auf einem Kriegszug. Die Normannen
drangen in die Burg ein und führten Gudrun und zweiundsechzig ihrer
25 Jungfrauen mit sich fort. Eilig kam König Hettel zurück und eilte den
Feinden nach. Am Ufer des Meeres, auf dem Wülpensand, ent¬
brannte heiß die Schlacht. König Hettel fiel. Als die Nacht herein¬
brach, flohen die Normannen auf ihren Schiffen mit ihren Gefangenen
in die Heimat. Gesenkten Hauptes zogen die Hegelingen heim zur
30 trauernden Königin Hilde, und Hettels tapferster und treuster Manne,
der alte Wate von Sturmland, der jetzt das Heer befehligte, verkündigte
ihr die traurige Mär. Die Königin aber sprach voll Herzeleid, als sie
alles gehört hatte: „Gebe Gott, daß ich noch einmal im Leben mein
Töchterchen Gudrun wiedersehe; dann will ich Arme gern sterben!"
35 2. In der Normandie wurde Gudrun freudig empfangen. Sie sollte
Hartmuts Gemahlin werden; aber sie blieb Herwig treu und wandte
sich von dem ab, dessen Vater den ihrigen erschlagen hatte. Gerlind,
die Mutter Hartmuts, und Ludwig hielten sie sehr hart. Dieser schleu¬
derte sie sogar eines Tages ergrimmt in die See, kaum konnte Hartmut,
40 der ihr eilig nachsprang, sie retten. Obgleich sie seine Hand beharrlich
ausschlug, war er mild und gütig gegen sie wie auch seine Schwester,
die sanfte Ortrun. Als aber Hartmut auf einem Kriegszug war, ließ