‘2. Luther im Kampfe mit Welt und Satan. S. 136.
Das war doch für Luther eine furchtbare Periode; dicht neben
Erhebung und Sieg lagen ihm tödtliche Augst, quälender Zweifel,
schreckliche Anfechtung. Er allein mit wenigen gegen die ganze
Christenheit in Waffen, immer nnsühnbarer verfeindet mit der ge¬
waltigsten Macht, die doch noch alles in sich schloß, was ihm seit
seiner Jugend heilig war. Wenn er doch irrte in einem und dem
andern? er war verantwortlich für jede Seele, die er mit sich fort¬
riß. Und wohin? was war außerhalb der Kirche? — Untergang,
zeitliches und ewiges Verderben. Wenn ihm Gegner und bange
Freunde das Herz zerschnitten mit Vorwürfen und Warnungen;
unvergleichlich größer war eine Pein: das heimliche Nagen, die
Unsicherheit, die er niemand gestehen durfte. Ja, int Gebet fand
er Frieden; so oft seine Seele Gott suchend in mächtigem Auf¬
schwünge erglühte, fcutt ihm Fülle der Kraft, Ruhe unb Heiterkeit.
Aber in den Stunden der Abspannung, wenn sein reizbares Gemüth
unter widrigem Eindruck zuckte, dann fühlte er sich befangen, ge¬
theilt, im Bann einer andern Macht, die seinem Gott feind war.
Aus der Kinderzeit wußte er, wie geschäftig die bösen Geister um
den Menschen weben; aus der Schrift hatte er gelernt, daß der
Teufel gegen den Reinsten arbeitet, ihn zu verderben. Auch auf
seinem Pfade lauerten geschäftige Teufel, ihn zu schwächen, zu ver¬
locken, durch ihn Unzählige elend zu machen. Er sah sie arbeiten
in der zornigen Miene des Cardinals, in dem höhnischen Antlitz des
Eck, ja in Gedanken seiner eigenen Seele; er wußte, wie mächtig
sie in Rom waren. Schon in der Jugend hatten ihn Erscheinungen
gequält, jetzt kehrten sie wieder. Ans dem dunklen Schatten seiner
Stndierstnbe erhob das Gespenst des Versuchers die Krallenhand
gegen seine Vernunft; selbst in der Gestalt des Erlösers nahte der
Teufel dem Betenden, strahlend, als Himmelsfürst mit den fünf
Wunden, wie ihn die alte Kirche abbildete. Aber Luther wußte, daß
Christus den armen Menschen nur in seinen Worten erscheint, oder
in demüthiger Gestalt, wie er am Kreuz gehangen. Und er raffte
sich heftig auf und schrie die Erscheinung an: Hebe dich, du Schand-
tensel!' da verschwand das Bild. — So arbeitete das starke Herz
des Mannes in wilder Empörung, jahrelang, immer aufs neue. Es
war ein unheimlicher Kampf zwischen Vernunft und Wahn. Aber immer
erhob er sich als Sieger, die Urkraft seiner gesunden Natur über¬
wand. In langem, oft stundenlangem Gebet glättete sich das stür¬
mische Wogen der Empfindung, sein massiver Verstand und sein
Gewissen führte ihn jedesmal aus dem Zweifel zur Sicherheit.
Als eine gnadenvolle Eingebung seines Gottes empfand er diesen
befreienden Prozeß. Und von solchem Augenblicke an war er,
der erst so angstvoll gebangt hatte, fest wie Stahl, gleichgültig gegen
das Urtheil der Menschen, unerschütterlich, unerbittlich, unwandelbar
derselbe, der später, 1529, während der Unterhandlungen mit den