140
die Natur jener Gegendeil gefördert wurden ist. Wenn in Bau¬
werken ans alter Zeit das Auge etwas schönes und gediegenes, ein
ausdrucksvolles Gepräge sucht, da findet es erquickende Weide in
dieser Städte Gassen voll alter, mit reichem Schnitz- iiub Bildwerk
und mit frommen Sprüchen gezierter Häuser aus Holz und Stein,
über welche ansehnliche Kirchen und Nathhäuser emporsteigen. Wen
erfreut hier z. B. nicht jener alte deutsche Giebelbau, der so male¬
risch und stattlich jedes Haus wie eine fest und stolz dastehende Burg .
in der Reihe der andern erscheinen läßt? Städte, wie Braunschweig,
Lüneburg oder Münster, Osnabrück oder selbst Soest und Pader¬
born, enthalten in den genannten Beziehungen noch viel lobwürdiges
und machen einen wohnlichen, gilt deutschen Eindruck. Im Süden
Deutschlands ist, die Kirchen abgerechnet, verhältuißmäßig seltener
ein gutes Bauwerk aus alter Zeit vorhanden. Unter den größeren
Städten haben eigentlich nur Nürnberg und Regensburg den alteil
.Charakter zu bewahren gewußt; denn selbst die frühere Krönungs-
und die Kaiserstadt, selbst Frankfurt iinb Wien, sind durch die neuere
Bailkunst unigestaltet worden. 3. Kühen.
136. Marsch, Geest und Moor.
Marsch, Geest lind Moor vergegenwärtigell lins gewissermaßen
die menschlichen Temperamente. Die Marsch repräsentiert, auf den
ersten Blick erkeiinbar, das phlegmatische. Ihre ewigen, schnurge-
raden Linien, die wagerechte, ruhige Ebene mit dem einförmigen
Grün, die träge fließenden Binnengewässer, der zähe, thonige Boden,
die schweren, behäbigen Thiere, die Bevölkerung, alles ist ein Bild
des rllhigen Phlegmas, wie feine andere Gegend es bietet. Die
leichte Geest dagegen ist durch nnb durch sauguinisch. Hier ist alles
Wechsel, bald erlist, bald heiter, bald dürr, bald fruchtbar, bald
Thal, bald Hügel; hier dämmeriger Wald, dort schattenlose Sand-
wüste; hier grünender Wicsengrund und walleilde Kornfelder, dort
steiniges, unfruchtbares Heideland; hier rauschende Mühlenbäche, dort
stille, rohrumflüsterte Teiche. — Alles in schroffen Gegensätzen wie
der Ailsdruck eines sanguinischen Gemüths. Wie das Geestvieh
leichter iiiid lebhafter ist als das Vieh der Marsch, so oft anch der
Menschenschlag. Im Moor endlich findet die tiefste Melancholie
ihren Anödruck, welchen der köstlichste Frühlingsmorgen und der
sonnigblaueste Sommertag nicht ganz verscheuchen können, der aber
bei trübem, wolkigem Himmel, im Spätherbst und zur Winterzeit,
wahrhaft grauenerregend auf die Seele zu wirken vermag. Nie wird
man von diesem Eindrücke so mächtig berührt, als wenn man kaum
noch die Wiesen der Marsch durchwanderte und nun plötzlich das
Moor betritt. Mit einem Male ist man in einer andern Welt.
Alles heitere Grün ist verschwunden, nichts zu erblicken als ödes,
schwarzbrauneö Land von unheimlichem, verbranntem Ansehen, be¬
grenzt von einer ernsten, tiefblauen Ebene. Da und dort wallt eine
graue Rauchmasse still zum Himmel, so daß man stch oft in einer