Full text: [Theil 3, [Schülerbd.]] (Theil 3, [Schülerbd.])

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wieder hinter ihrem Spinnrade. Diese vereinigten Vortheile machen, 
daß die Bauern lieber beim Herde als in der Stube sitzen." 
Auch andere Gewohnheiten haften an den lieb gewonnenen Ein¬ 
richtungen des Hauses, obgleich durch Landesart, größeren Aufwand 
und obrigkeitliche Anordnungen im einzelnen Abweichungen bedingt 
worden sind. Wo alles unter einem Dache, um ein Feuer beisam¬ 
men lebt, wo der weite Raum der Einfahrt gleichsam ein bedeckter 
Marktplatz für das kleine häusliche Gemeinwesen ist, um welchen 
herum dessen sämmtlichen Gliedern, Menschen und Vieh, ihre be¬ 
sondern Plätze angewiesen sind; wo eben dieser Raum die Jugend 
nicht bloß zu angestrengter Arbeit, sondern auch zu heiterem Tanze 
unb Gelage versammelt: da mußte ein haushälterischer, anhänglicher 
Sinn für die Familie, eine größere Anhänglichkeit selbst ans Vieh, 
da mußte für den Genuß der Freuden des Lebens im engen, be¬ 
kannten Kreise eine festere Neigung entstehen, als wo alles innerhalb 
derselben Wirtschaften zerfahren und getrennt lebt. Wo ferner, wie 
man im Osnabrückischen und im Münsterland zu sehen Gelegenheit 
hat, die Gehöfte oft ganz zerstreut und vereinzelt liegen, wo der 
Landmann nicht selten fast eine Viertelstunde bis zum nächsten Nach¬ 
bar, eine Stunde bis zum nächsten Wirtshause zu gehen hat, da 
muß gleichfalls die Häuslichkeit natürlicher, entwickelter als in jenen 
Gegenden sein, in welchen durch entgegengesetzte Verhältnisse leicht 
Störungen in den Familienkreis kommen. 
In der That, nicht darf man sich Deutschland zu kennen rüh¬ 
men, hat man nicht auch diese westfälisch-niedersächstschen Gauen 
mit ihren vereinzelten Bauerhöfen, mit ihren prächtigen Wiesen- 
planen und Eichenwäldern kennen gelernt. Es ist wahr, unser Vater- 
land hat anderwärts, besonders in seinem Südwesten und in dem 
mittleren Westen, den unbestrittenen Vorzug weit größerer Mannig¬ 
faltigkeit in Bodenbeschassenheit und Volksleben; aber auch das 
Weite, Auseinandergezogene, Bequeme, Stetige, Gleichmäßige des 
niedersächsischen Landes übt ans den Betrachtenden einen wohlthuenden 
Eindruck, wie es sich in Sitte und Tracht, in Sprache uub Art der 
Leute darstellt. Da ist, wenn oft schwerfälliger, doch sicherer Schritt 
und Tritt, ruhige Bewegung und bewußte Haltung. Wie die ein¬ 
zelnen alten Wirtschaften meist in breiten, sehr kenntlichen Zügen 
angelegt, wie die einzelnen Bauerhöfe unter den alten Eichen mit 
einem Zaune umgeben, und wie die zu ihnen gehöreitden Ländereien 
durch Wallhecken und Gräben geschieden sind, welche links und rechts 
die Wege einschließen und dem Wanderer nur einen engen Horizont 
freilassen: so bequem abgeschlossen und auf sich selbst ruhend, ge¬ 
messen und scharf umschrieben ist dort des Menschen Sinn und 
Sitte. Aus der stachen, zerfahrenden und verschwimmenden Weite 
der Außenwelt hat er sich ins Enge und Heimliche seines Gemüthes 
gezogen und in dieser heitern Selbstbeschränknng einen tiefen Zug 
echt deutschen Wesens bekundet. 
Auch die Städte der Niedersachsen und Westfalen legen noch 
vielfach Zeugniß ab von diesem langsamen, stetigen Leben, das durch
	        
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