380
Während Volker noch so sprach, war Rüdiger bis vor den Saal
gekommen. Da setzte er seinen Schild auf die Erde und, statt seinen
Freunden einen herzlichen Gruß bieten zu können, mußte er ihnen zu¬
rufen: „Zhr kühnen Helden! Nun wehret euch; denn statt euch Hülfe
bringen zu können, muß ich euch bekämpfen. Wohl waren wir einst
Freunde, jetzt aber muß ich euch bitten, mich ledig zu lassen der Treue,
die ich euch versprochen." Über diese Nachricht erschraken die Burgunden
sehr. Sollten sie jetzt gegen ihre Freunde kämpfen, nachdem sie von
ihren Feinden schon so viel Noth erlitten hatten? Darum sprach König
Günther: „Das wolle Gott im Himmel verhüten, daß ihr der Treue,
die wir von euch hofften, so sehr vergesset! Ich hoffe vielmehr, daß
ihr treulich dienet." Rüdiger aber antwortete: „Ich kann es leider
nicht abwenden. Ich muß mit euch streiten, weil ich König Etzels
Weibe Treue gelobt habe und sie mich nun meines Wortes mahnt.
Wehret euch daher, wenn euer Leben euch lieb ist." Günther sprach
darauf wieder: „So lohne euch Gott alle Liebe und Treue, die ihr,
edler Rüdiger, bis jetzt an uns gethan habt. Wolltet ihr freilich auch
jetzt noch und bis ans Ende diese Treue bewahren, so wollten wir mit
unseren Mannen euch immer dafür dankbar sein. Gedenket doch der
reichen Geschenke, die ihr uns gäbet, als ihr uns hierher führtet; damals
wäret ihr uns freundlicher gesinnt als jetzt, wo wir uns vor den
Schlägen eures Schwertes hüten sollen." — „Ach," entgegnete der edle
Markgraf, „wie gern wollte ich euch auch heute Geschenke geben, so viel
ihr deren nur annähmet! Nur der Haß der Königin ist es, der mich
gegen euch in den Kampf treibt. Wollte Gott, ihr wäret am Rheine,
und ich hätte in ehrenvollem Kampfe meinen Tod gefunden! Ach, nie
haben Freunde an Helden schlimmer gehandelt, als ich jetzt an euch
thun soll!"
Nun wendete sich auch Gernot zu Rüdiger und sprach: „Hier trage
ich die Waffe, die ihr mir, edler Held, gegeben habt, da wir bei euch
in Bechelaren waren. Sie hat mich in diesem Kampfe noch nie im
Stiche gelassen, und mancher gute Held ist unter ihren Streichen todt
zusammengebrochen. Ich glaube, daß noch nie ein Held ein kostbareres
Geschenk als dieses, empfangen hat. Sollte ich aber auch euch das
Leben mit diesem guten Schwerte nehmen, — und das müßte ich, wenn
ihr mit uns kämpftet und uns unsere Freunde erschlüget — so würde
es mir leid thun um euretwillen, edler Held, und um eures Weibes
und eurer Tochter willen." Rüdiger antwortete ihm: „Ach, ich wünschte,
daß das geschehen mochte! Wie gerne wollte ich sterben, wenn ich damit
euch, Herr Gernot, und eure Freunde retten konnte. Für mein Weib
und meine Tochter würdet ihr wohl in Treue sorgen, des bin ich gewiß."
Auch Giselher sprach zu Rüdiger: „2hr thut übel' daran, gegen
uns zu kämpfen, die wir euch alle so freundlich gesinnt sind. Wollet
ihr selbst eure Tochter so früh zur Witwe machen? Nach dem, was
ihr da thun wollt, sollte man nicht denken, daß ich euch mehr als
jedem andern Manne vertraut und eure Tochter mir zum Weibe aus¬
erwählt habe." 2hm antwortete der Markgraf: „Gedenket eurer Treue,
edler König, und laßt es, wenn ihr heil von hinnen kommt, die Tochter