Full text: [Theil 3, [Schülerbd.]] (Theil 3, [Schülerbd.])

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Während Volker noch so sprach, war Rüdiger bis vor den Saal 
gekommen. Da setzte er seinen Schild auf die Erde und, statt seinen 
Freunden einen herzlichen Gruß bieten zu können, mußte er ihnen zu¬ 
rufen: „Zhr kühnen Helden! Nun wehret euch; denn statt euch Hülfe 
bringen zu können, muß ich euch bekämpfen. Wohl waren wir einst 
Freunde, jetzt aber muß ich euch bitten, mich ledig zu lassen der Treue, 
die ich euch versprochen." Über diese Nachricht erschraken die Burgunden 
sehr. Sollten sie jetzt gegen ihre Freunde kämpfen, nachdem sie von 
ihren Feinden schon so viel Noth erlitten hatten? Darum sprach König 
Günther: „Das wolle Gott im Himmel verhüten, daß ihr der Treue, 
die wir von euch hofften, so sehr vergesset! Ich hoffe vielmehr, daß 
ihr treulich dienet." Rüdiger aber antwortete: „Ich kann es leider 
nicht abwenden. Ich muß mit euch streiten, weil ich König Etzels 
Weibe Treue gelobt habe und sie mich nun meines Wortes mahnt. 
Wehret euch daher, wenn euer Leben euch lieb ist." Günther sprach 
darauf wieder: „So lohne euch Gott alle Liebe und Treue, die ihr, 
edler Rüdiger, bis jetzt an uns gethan habt. Wolltet ihr freilich auch 
jetzt noch und bis ans Ende diese Treue bewahren, so wollten wir mit 
unseren Mannen euch immer dafür dankbar sein. Gedenket doch der 
reichen Geschenke, die ihr uns gäbet, als ihr uns hierher führtet; damals 
wäret ihr uns freundlicher gesinnt als jetzt, wo wir uns vor den 
Schlägen eures Schwertes hüten sollen." — „Ach," entgegnete der edle 
Markgraf, „wie gern wollte ich euch auch heute Geschenke geben, so viel 
ihr deren nur annähmet! Nur der Haß der Königin ist es, der mich 
gegen euch in den Kampf treibt. Wollte Gott, ihr wäret am Rheine, 
und ich hätte in ehrenvollem Kampfe meinen Tod gefunden! Ach, nie 
haben Freunde an Helden schlimmer gehandelt, als ich jetzt an euch 
thun soll!" 
Nun wendete sich auch Gernot zu Rüdiger und sprach: „Hier trage 
ich die Waffe, die ihr mir, edler Held, gegeben habt, da wir bei euch 
in Bechelaren waren. Sie hat mich in diesem Kampfe noch nie im 
Stiche gelassen, und mancher gute Held ist unter ihren Streichen todt 
zusammengebrochen. Ich glaube, daß noch nie ein Held ein kostbareres 
Geschenk als dieses, empfangen hat. Sollte ich aber auch euch das 
Leben mit diesem guten Schwerte nehmen, — und das müßte ich, wenn 
ihr mit uns kämpftet und uns unsere Freunde erschlüget — so würde 
es mir leid thun um euretwillen, edler Held, und um eures Weibes 
und eurer Tochter willen." Rüdiger antwortete ihm: „Ach, ich wünschte, 
daß das geschehen mochte! Wie gerne wollte ich sterben, wenn ich damit 
euch, Herr Gernot, und eure Freunde retten konnte. Für mein Weib 
und meine Tochter würdet ihr wohl in Treue sorgen, des bin ich gewiß." 
Auch Giselher sprach zu Rüdiger: „2hr thut übel' daran, gegen 
uns zu kämpfen, die wir euch alle so freundlich gesinnt sind. Wollet 
ihr selbst eure Tochter so früh zur Witwe machen? Nach dem, was 
ihr da thun wollt, sollte man nicht denken, daß ich euch mehr als 
jedem andern Manne vertraut und eure Tochter mir zum Weibe aus¬ 
erwählt habe." 2hm antwortete der Markgraf: „Gedenket eurer Treue, 
edler König, und laßt es, wenn ihr heil von hinnen kommt, die Tochter
	        
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