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Als der Gewählte drauf sich niederließ,
Ergriff er seines edlen Vetters Hand
Und zog ihn zu sich auf den Königssitz.
Und in den Ring der Fürsten trat
sofort
Tic fromme Kaiserwitwe Kunigund-;
Glückwünschend reichte sic dem neuen
König
Die treu bewahrten Reichskleinvde
dar. —
Zum Festzug aber scharten sich die
Reih'n,
Voran der König, folgend mit Gesang
Tie Geistlichen und Laien: so viel
Preis
Erscholl zum Himmel nie an einem Tag;
Wär'KaiserKarl gestiegen ansderGruft,
Nicht freudiger hätt' ihn die Welt be¬
grüßt.
So wallten sie den Strom entlang
nach Mainz,
Woselbst der König im erhabnen Tom
Der Salbung heilge Weihe nun em¬
pfing.
Wen seines Volkes Nus so hoch gestellt,
Dem fehle nicht die Kräftigung von
Gott!
Und als er wieder ans dem Tempel
trat,
Erschien er herrlicher als kaum zuvor.
Und seine Schulter ragt' ob allem Volk.
Ahlaud.
257. Heinrich IV. und Gregor VII.
Seitdem die Bischöfe über die von den Gemeinden gewählteri Älte¬
sten sich erhoben und das oberste Vorsteheramt in den christlichen Ge¬
meinden errungen hatten, wurde auch unter ihnen selbst der Rangstreit
rege. Die Bischöfe der Hauptstadt wollten mehr sein als die der kleineren
Städte, und die Bischöfe der größten Städte suchten sich zu Aufsehern
über alle übrigen emporzuschwingen. Aber auch unter diesen begann der
Kampf, wer der vornehmste unter ihnen und der Herr der gesammten
Christenheit sein sollte. Dem Bischöfe von dem weltbeherrschcnden Rom
gelang es, den Sieg in diesem Streite zu erringen. Die Sage, daß der
Apostel Petrus der Stifter der römischen Gemeinde und der erste Bischof
daselbst gewesen sei, erleichterte ihm sein stolzes Streben. Und als end¬
lich die Apostel der Deutschen, vornehmlich Bonifacius, mit dem Christen-
thume zugleich des Papstes Ansehen in Deutschland predigten, und Pipin,
der Frankenkönig, und Karl der Große durch Schenkungen weltlicher
Besitzthümer den Grund zum Kirchenstaate legten, da war die Herrschaft
der Päpste über die abendländische Christenheit begründet und eine lange
schmachvolle Zeit für unser deutsches Vaterland herbeigerufen. Mochten
auch nachher ein ganzes Jahrhundert hindurch die unwürdigsten, ja
sogar ruchlosesten Menschen auf dem Stuhle des Apostels Petrus sitzen,
einst sogar ein 12jähriger Knabe der Stellvertreter Christi heißen, und
später zn gleicher Zeit drei für Geld erwählte Päpste den heiligen Stuhl
entweihen — das Ansehen der päpstlichen Würde war nicht mehr zu
vernichten. Dazu kam noch, daß auch eine Reihe solcher Päpste regierte,
die mit Klugheit und eisernem Willen die Herrschaft über Könige und
Kaiser und über alle Länder der Christenheit zu erhalten strebten; die
da lehrten, was Gott im Himmel sei, das seien sie auf Erden, und sie
allein hätten das Recht, den Fürsten die Kronen zu geben und zu neh¬
men. Einer der ersten war Gregor VII., der Sohn eines Schmiedes,
der von 1073 bis 1085 die päpstliche Macht zum höchsten Gipfel führte.
Er lehrte öffentlich, er sei der sichtbare Stellvertreter Gottes auf Erden;
er habe Macht, den Königen ihr Reich zu nehmen und anderen es zu