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Georg hatte eine niedere Erdschlucht erwartet, kurz und eng, dem
Lager der Tiere gleich, wie er sie in den Forsten seiner Heimat hin univ
wieder gesehen; aber wie erstaunte er, als die erhabenen Hallen eines
unterirdischen Palastes vor seinen Augen sich aufthaten. Er hatte in seiner
Kindheit ein Märchen gehört; ein Knabe war von einem bösen Zauberer
unter die Erde geschickt worden, in einen Palast, dessen erhabene Schön¬
heit alles übertraf, was der Knabe je über der Erde gesehen hatte; was
die kühne Phantasie des Morgenlandes Prachtvolles und Herrliches ersinnen
konnte, goldene Säulen mit krystallenen Kapitälen, gewölbte Kuppeln von
Smaragden und Saphiren, diamantene Wände, deren vielfach gebrochene
Strahlen das Auge blendeten: alles war jener unterirdischen Wohnung
der Genien beigelegt. Diese Sage, die sich der kindischen Einbildungskraft
tief eingedrückt hatte, lebte auf und verwirklichte sich vor den Blicken des stau¬
nenden Jünglings. Alle Augenblicke stand er still, von neuem überrascht,
hielt die Fackel hoch und staunte und bewunderte, denn in hohen, majestätisch
gewölbten Bogen zog sich der Höhlengang hin und flimmerte und blitzte
wie von tausend Krystallen und Diamanten. Aber noch größere Überraschung
stand ihm bevor, als sich sein Führer links wandte und ihn in eine weite
Grotte führte, die wie der festlich geschmückte Saal des unterirdischen
Palastes anzusehell war.
Sein Führer mochte den gewaltigen Eindruck bemerken, den dieses
Wunderwerk der Natur auf die Seele des Jünglings machte. Er nahm
ihm die Fackel aus der Hand, stieg auf einen vorspringenden Felsen und
beleuchtete so einen großen Teil dieser Grotte.
Glänzend weiße Felsen faßten die Wände ein, kühne Schwibbogen,
Wölbungen, über deren Kühnheit das irdische Auge staunte, bildeten die
glänzende Kuppel; der Tropfstein, aus dem diese Höhle gebildet war, hing
voll von vielen Millionen kleiner Tröpfchen, die in allen Farben des
Regenbogens den Schein zurückwarfen und als silberreine Quellen in
krystallenen Schalen sich sammelten. In sonderbaren Gestalten standen
Felsen umher, und die aufgeregte Phantasie, das tmufene Auge glaubte
bald eine Kapelle, bald große Altäre und Kanzeln zu sehen. Selbst die Orgel
fehlte dem unterirdischen Dome nicht, und die wechselnden Schatten des
Fackellichtes, die an den Wänden hin- und herzogen, schienen geheimnis¬
voll erhabene Bilder von Märtyrern und Heiligen in ihren Nischen bald
auf-, bald zuzudecken.
So schmückte die Phantasie des jungen Mannes, voll Ehrfurcht vor
dem geheimnisvollen Wirken der Gottheit, das unterirdische Gemach zur
Kirche aus. ,
Der Führer stieg, nachdem er das Auge des Jünglings für hinläng¬
lich gesättigt halten mochte, wieder herab von seinem Felsen. „Das ist