Full text: Deutsches Lesebuch für das mittlere Kindesalter beider Konfessionen

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202. Der Wanderer und die zwei Flüsse. 
ging ihm wohl. Als der Krieg zu Ende war, brachte er 
wohl dreihundert Gulden davon. Da zogen die zwei Lands- 
knechte wieder mit einander heim. 
Der Mann, der allezeit krank gewesen, wartete, wann 
wohl sein Geselle das Geld mit ihm teilen wurde. Der aber 
that, als ob sie niemals dergleichen verabredet hätten. De 
sie nun zuletzt von einander scheiden wollten und ein jede 
seine Stratze ziehen, der eine rechts, der andere links, sprach 
der kranke Mann: „Gesell, bist du aueh noeh eingedent 
des Bundes, den wir mit einander gemacht haben? Du sollst 
mit mir teilen!“ 
Der andere antwortete: Es ist wahr, Bruder, ich habe 
awei Dinge in dem Kriege gewonnen: ein ehrlich Stuok Geld, 
das mir nun wohl thun wird, und vier ehrliche Wunden, die 
mir wehe gethan haben. Und wir haben uns das Wort ge— 
geben, alles mit einander zu theilen. So will ieh nun zuerst 
die Wunden mit dir teilen, darnach das Geld.“ Er 208 
den Degen und rief: „Komm' heran!“ — Da das der Kamerad 
sah, sprach er: „Guter Gesell', wenn's s0 gemeint ist, 80 
behalt' dir das Geld und deine Vunden selber! Du hast wohl 
recht; —ich will nichts haben.“ So gingen sie von einander- 
Merke: Erst Muh', dann Lohn; 
Erst Streit, dann Kron'! 
Paspari. 
202. (204.) Der Wanderer und die zwei Flüsse. 
Ein Wanderer kam an ein Wasser, das breit war und mil 
großem Geräusch über Steine und Kiesel dahin rollte. Er verzog lange 
sah sich weit und breit nach einer Brücke oder einem Fahrzeuge um. 
Vergebens! Nur die höchste Not trieb ihn, daß er durchzugehen 
wagte, und er fand es dann zehnmal leichter, als er geglaubt hatte. 
In wenig Stunden darauf kam er an ein zweites Gewässer. G⸗ 
floß schmal, ohne Gemurmel und fast unmerkbar dahin. 
Bin ich durch jenes größere so unbeschädigt gekommen, dachte der 
Wanderer, wie viel leichter wird es mir bei diesem kleinen unbedeutenden 
Bächlein sein! — Er ging gerade durch, kam auf eine Tiefe und 
ertrank. 
Den schweigenden Feind fürchte zehnfach stärker als denjenigen, der 
laut schwatzt und droht! 
A. G. Meißner nach Camerarius.
	        
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