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holde Göttin; wehe aber den trägen und unsauberen! — Wenn
Wodans Gemahlin als waltende Hausfrau in den Lufthöhen die
Betten schüttelt, so schneit es aus der Erde. Ihr Wagen wird von
einem Widdergespann gezogen, den Haustieren, deren Wolle das Ge¬
webe zu wärmender Kleidung giebt.
Der zweite der Götter ist Wodans kraftvollster und erhabenster
Sohn Donar, im Norden Thor genannt. Er ist seines Vaters
rechte Hand und gebietet über Wolken und Regen. Wenn er einher¬
fährt im Wetterstrahle und rollenden Donner, so ist er nicht bloß der
erhabene, furchtbare, sondern vor allem auch der gütige, segnende
Gott. Er bringt den frischen, erquickenden Hauch, welcher die brütende
Schwüle des Sommertages in wohlige Kühle auflöst, und den warmen
Gewitterregen, welcher das Saatkorn aufquellt und keimen läßt. So
ist Donar den Menschen hülfreich und freundlich gesinnt, und nament¬
lich denen, welche die Erde bebauen. Wie Wodan vor allem der
Gott der kriegerischen Helden, so ist Donar vorzugsweise der Gott
des friedlichen Ackerbaues. Zu ihm flehen die Landleute um Segen,
damit ihr Stroh kupferrot, ihr Getreide goldgelb werde. Wenn der
rotbärtige Donnerer in seinem Wagen daherrollt, mit der Linken das
Bocksgespann lenkend, in der Rechten den allzermalmeuden Hammer
Miölmir, der nach jedem Wurfe wieder von selbst in seine Hand
zurückstiegt, so verläßt zwar der Mensch erbebend seine Arbeit und
sein Mahl, aber er getröstet sich auch des Segens, den der gewaltige
Herr über die Erde ausgießt. Der „Donnerkeil," den der Gott her¬
niederschleuderte, sowie alles, was vom Blitze getroffen ward, galt
für heilig und wurde als besonders geweiht und wunderkräftig an¬
gesehen. Auch waren die Berge dem Donar geweiht; dort loderten
im Frühjahre die Opferfeuer, um welche sich das Volk singend und
jubelnd im Kreise drehte.
Der Gott, der den Hammer führt, ist aber nicht bloß durch
die Pstege des Ackerbaues Freund des Menschen, sondern auch durch
den Schutz, den er dem Gewerbe und dem Eigentume angedeihen läßt.
Ist doch der Hammer dem Menschen bei der Bearbeitung der Natur¬
stoffe das unentbehrliche Werkzeug. Im Namen Donars heiligte man,
indem man mit dem Hammer die Schwelle des Hanfes berührte,
dasselbe als eine unverletzliche Stätte und ein festes Besitztum. Die
Grenzsteine und Wegsäulen wie die Brücken wurden auf die¬
selbe Weise geweiht. Bei der Landzuteilung wurde das erworbene
Eigentum Init dem Hammerschlage seinem Besitzer feierlich
zugesprochen, und bei der Vermählung wurde die Braut mit dem
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