Full text: [Teil 3 = Quinta, [Schülerband]] (Teil 3 = Quinta, [Schülerband])

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II. Märchen. 
an, schöpfte bett Krug voll Wasser und kehrte wieder um. Mitten 
aber auf dem Heimweg überkam ihn eine Müdigkeit; da setzte er den 
Krug hin, legte sich nieder und schlief ein. Er hatte aber einen Pferde¬ 
schädel, der da auf der Erde lag, zum Kopfkissen gemacht, damit er 
hart läge und bald wieder erwachte. 
Indessen war die Königstochter, die auch gut laufen konnte, so 
gut es ein gewöhnlicher Mensch vermag, bei dem Brnnnett angelangt 
und eilte mit ihrem Krug voll Wasser zurück, und als sie den Lauser 
da liegen und schlafen sah, war sie froh und sprach: „Der Feind ist 
in meine Hände gegeben," leerte seinen Krug aus und sprang weiter. 
Nun wäre alles verloren gewesen, wenn nicht zu gutem Glück 
der Jäger mit seinen sckiarfen Augen oben auf dem Schloß gestanden 
und alles mit angesehen hätte. Da sprach er: „Die Königstochter 
soll doch gegen uns nicht aufkommen," lud seine Büchse und schoß so 
geschickt, daß er dem Lauser den Pferdeschädel unter dem Kopfe weg¬ 
schoß, ohne ihm weh zu thun. 
Da erwachte der Lauser, sprang in die Höhe und sah, daß sein 
Krug leer und die Königstochter schon weit voraus war. Aber er 
verlor den Mut nicht, lief mit dem Krug wieder zum Brunnen zurück, 
schöpfte aufs neue Wasser und war noch zehn Minuten eher als die 
Königstochter daheim. „Seht ihr," sprach er, „jetzt hab' ich erst die 
Beine aufgehoben; vorher war's gar kein Laufen zu nennen." 
Den König aber kränkte es, und seine Tochter noch tnehr, daß 
sie so ein gemeiner abgedankter Soldat davontragen sollte; sie rat¬ 
schlagten mit einander, wie sie ihn samt seinen Gesellen loswürden. 
Da sprach der König zu ihr: „Ich habe ein Mittel gefunden; laß dir 
nicht bang sein; sie sollen nicht wieder heimkommen." Und sprach zu 
ihnen: „Ihr sollt euch nun zusammen lustig machen, essen und trinken," 
und führte sie zu einer Stube, die hatte einen Boden von Eisen, und 
die Thüren waren auch von Eisen, und die Fenster waren mit eisernen 
Stäben verwahrt. In der Stube war eine Tafel mit köstlichen Speisen 
besetzt; da sprach der König zu ihnen: „Geht hinein und laßt euch 
wohl sein!" 
Und wie sie darinnen waren, ließ er die Thüre verschließen und 
verriegeln. Dann ließ er den Koch kommen und befahl ihm, ein Feuer 
so lange unter die Stube zu machen, bis das Eisen glühend würde. 
Das that der Koch, und es fing an und ward den sechsen in der 
Stube, während sie an der Tafel saßen, ganz warm, und sie meinten, 
das käme vom Essen; als aber die Hitze immer größer ward und sie 
hinaus wollten, Thüre und Fenster aber verschlossen fanden, da merkten 
sie, daß der König Böses im Sinne gehabt hatte und sie ersticken wollte. 
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