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Sagen aus Homers Ilias.
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den Leichnam am Wagen und schleifte ihn dreimal um das Denkmal
des Patroklus. Doch Apollo schützte den Leichnam vor Verwesung,
und auch die anderen Götter erbarmten sich des Toten und bewirkten,
daß Achilles ihn dem greisen Priamus zur Bestattung auslieferte.
Bald entbrannte der Kampf von neuem. Achilles erschlug viele
Feinde und verfolgte die Trojaner bis vor die Stadt; dort aber traf
ihn ein Pfeil des Paris in die verwundbare Ferse und tötete ihn. Der
Leichnam ward nach den Schiffen getragen, und alle Griechen brachen
in laute, bittre Klagen aus, am meisten Ajax und der greise Phönix,
der dem Melden nach Troja gefolgt war. Dann wuschen sie den Toten
und hüllten ihn in schöne Gewänder; Athene aber träufelte ihm vom
Olymp einige Tropfen Ambrosia auf das K>aupt, die ihn vor Verwesung
bewahrten. So lag sein Leichnam frisch wie der Körper eines Leben¬
den; auf seinem Antlitz lag der Ausdruck des Zornes über den Tod
des Patroklus. Thetis entstieg den Tiefen des Meeres mit ihren
Schwestern, küßte den Mund des teuern Sohnes und weinte, daß der
Boden von ihren Tränen benetzt wurde. Die Griechen aber bauten
aus vielen Bäumen einen Scheiterhaufen, schlachteten Opfertiere und
spendeten Trankopfer, und bald verzehrten die Flammen den Leichnam.
Seine Asche wurde neben der des Patroklus versenkt, und Leichenspiele
beschlossen die Feier.
Zehn Jahre hatten die Griechen erfolglos vor Troja gekämpft. Da
nahmen sie endlich ihre Zuflucht zur List. Sie erbauten ein gewaltiges
hölzernes Pferd, und in dessen geräumigem Bauch verbargen sich die
tapfersten Griechenhelden. Die anderen zündeten das Lager an und
segelten nach Tenedos. Die Trojaner strömten jubelnd aus der Stadt
ins Griechenlager, staunten das hölzerne Roß an und zogen es in ihrer
Verblendung zu ihrer Burg hinauf. Zn der Nacht überließen sie sich
der Festesfreude in Tanz und Rausch. Da krochen die Griechenhelden
aus dem Bauche des Pferdes und richteten mit denen, die von Tene¬
dos herübergekommen waren, unter den Trojanern ein Blutbad an und
steckten die ganze Stadt in Brand.
So sank das stolze Troja in Asche und Trümmer.
b- Äektors Abschied von Andromache.
Von Gustav Schwab.
Ein friedlich schönes und zugleich tief schmerzliches Bild aus dem
Kriege hat uns Homer dort entworfen, wo er von Hektor, dem tapfer¬
sten Sohne des Priamus, berichtet, wie er kurze Rast im Kampfe ge-