Full text: [Abt. 2 = Für Quinta, [Schülerband]] (Abt. 2 = Für Quinta, [Schülerband])

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VI. Griechische Sagen. 
nehmen: Wenn mir Zeus den Sieg verleiht, werde ich dich nimmer¬ 
mehr mißhandeln, sondern dir nur die Rüstung abziehen und die Leiche 
deinen Volksgenossen zurückgeben. Ein gleiches sollst du mir tun." 
„Nicht von Verträgen geredet!" erwiderte finster Achilles. „So wenig 
ein Bund zwischen Löwen und Menschen Freundschaft stiftet, so wenig 
zwischen Wölfen und Lämmern Eintracht besteht, so wenig wirst du 
mich mit dir befreunden. Einer von uns muß blutig zu Boden stürzen. 
Nimm deine Kunst zusammen, du mußt Lanzenschwinger und Fechter 
zugleich sein! Doch du wirst mir nicht entrinnen; all das Leid, das du 
den Meinigen mit der Lanze angetan hast, das büßest du mir jetzt aus 
einmal!" So schalt Achilles und schleuderte die Lanze; doch Lektor 
sank ins Knie, und das Geschoß flog über ihn weg in die Erde; hier 
faßte es Athene und gab es, unbemerkt von Lektor, dem Peliden so¬ 
gleich zurück. Mit zornigem Schwung entsandte nun Lektor auch seinen 
Speer, und dieser fehlte nicht; er traf mitten auf den Schild des Achilles, 
prallte aber davon ab. Bestürzt sah sich Lektor nach seinem Bruder 
Deiphobus um, denn er hatte keine zweite Lanze zu versenden; doch 
dieser war verschwunden. Da wurde Lektor inne, daß es Athene war, 
die ihn getäuscht hatte. Wohl sah er ein, daß das Schicksal ihn jetzt 
fassen würde; er dachte daher nur daraus, wie er nicht rühmlos in den 
Staub sinken wollte, zog sein gewaltiges Schwert von der Lüfte und 
stürmte damit einher, wie ein Adler aus einen geduckten Lasen oder ein 
Lämmlein aus der Luft herabschießt. Der Pelide wartete den Streich 
nicht ab; auch er drang unter dem Schilde vor; sein Lelm nickte, die 
Mähne fiatterte, und sternhell strahlte der Speer, den er grimmig in 
seiner Rechten schwenkte. Sein Auge durchspähte Lektors Leib, forschend, 
wo etwa eine Waffe haften könnte. And er fand die Stelle und durch¬ 
bohrte ihm die Kehle. Lektor sank in den Staub und fiehte sterbend 
den Sieger an, seinen Leichnam wenigstens zu ehren und zu schonen und 
nicht den Vögeln und Tieren preiszugeben. Doch der grausame Pelide 
frohlockte im Siegestaumel, nimmer werde er seiner schonen, noch für 
Gold die Leiche den Trojanern zur Bestattung ausliefern. „Ich kenne 
dich!" fiüsterte aufstöhnend Lektor; „dein Lerz ist eisern. Aber denk 
an mich, wenn die Götter mich rächen und am hohen Skäischen Tore 
dich das Geschoß des Phöbus Apollo trifft und du im Staube endest, 
wie jetzt ich!" Mit dieser Weissagung verließ Lektors Seele den Leib 
und fiog zum Lades hinunter. Achilles aber rief ihr nach: „Stirb du; 
mein Los empfang' ich, wann Zeus und die Götter es wollen!" So 
sprach er und zog die eigene blutige Rüstung von den Schultern des 
Erschlagenen.
	        
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