Full text: [Abt. 2 = Für Quinta, [Schülerband]] (Abt. 2 = Für Quinta, [Schülerband])

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VI. Griechische Sagen. 
umwarf uud alles Wasser verschüttete. Penelope war schon hinaus¬ 
gegangen und bemerkte das nicht; aber Odysseus gebot der hocherfreuten 
Schaffnerin mit strenger Miene zu schweigen. 
Nachdem noch der Jüngling Telemach die Waffen gebracht hatte, 
hüllte sich Odysseus in eine Stierhaut und streckte sich auf den Fu߬ 
boden des Saales zur Ruhe hin; aber der Schlaf kam nicht in seine 
Augen. 
6) Der Freiermord. 
Von August Wilhelm Grube. 
Mit dem andern Morgen brach der Tag der Entscheidung an. 
Die Freier kamen und begannen ihr wüstes Treiben noch ärger als 
sonst, ohne sich durch die Zeichen des nahen Verderbens warnen zu 
lassen; sie aßen blutbesudeltes Fleisch, und die Tränen standen ihnen 
in den Augen. Doch sie achteten nicht darauf; denn Athene hatte ihre 
Augen mit Blindheit geschlagen. 
Penelope veranstaltete nun einen Kampf und versprach dem Sieger 
ihre Land zu geben. Sie stellte zwölf Beile hintereinander im Saale 
aus und gebot den Freiern, einen Pfeil mit dem gewaltigen Bogen 
des Odysseus durch die zwölf Öhre der Beile zu schießen. Die Freier 
nahmen den Kamps an', doch keiner vernwchte den schweren Bogen zu 
spannen, obschon sie ihn durch Salbe und Wärme geschmeidig zu machen 
suchten. Da wurden die Männer ungeduldig und sprachen: „Lassen wir 
die Sache bis morgen!" Doch Odysseus bat sie in aller Demut, daß 
sie ihm doch auch einmal den Bogen überlassen möchten. Die Freier 
lachten und ergrimmten über die Llnverschämtheit des Bettlers, aber 
Telemach reichte ihm die Waffe. Eine Weile betrachtete der Äeld 
kunstverständig den ihm wohlbekannten Bogen, dann faßte er mit kräf¬ 
tiger Äand die Sehne und spannte sie — es krachte, und der Pfeil flog 
durch die Öhre der Beile, ohne ein einziges zu verfehlen. 
Jetzt aber war auch Telemach bereit; auf einen Wink des Odysseus 
gürtete er sein Schwert um, trat zu dem Vater heran, und beide stellten 
sich auf die Schwelle des Saales. Dann die Pfeile aus dem Köcher 
schüttend, ries Odysseus mit lauter Stimme zu den Freiern: „Ein Wett¬ 
kampf ist vollendet, aber ein anderer kommt noch. Jetzt wähle ich ein 
Ziel, das noch kein Schütze getroffen hat!" Kaum hatte er die Worte 
gesprochen, so flog sein Pfeil dem Antinous in die Kehle; der sank 
blutig zurück und stürzte den Tisch mit den Speisen um. Noch glaubten 
die Freier, es sei dem Alten unversehens der Pfeil entflogen, doch 
Odysseus rief mit finsterem Blick: „Äa, ihr Äunde! Ihr dachtet, ich
	        
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