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VIII. Naturbilder.
fassen mochten, fuhr dann, wie ein Schornsteinfeger im Schlot, in seiner
Fallröhre hinunter und trug die Körner in die Vorratskammer, die mit
seinem Wohnzimmer durch einen besondern Gang in Verbindung stand.
Dort hatte er einen solchen Saufen Getreide und Erbsen zusammen¬
geschleppt, daß ein starker Mann daran zu tragen gehabt hätte. Das
war sein Vorrat für den Winter.
Während die Feldmaus noch unschlüssig dasaß und nicht wußte,
sollte sie den reichen Vetter um eine Gabe von seinem Vorrat bitten
und sich zum Winter bei ihm einquartieren, kam er schon wieder zurück.
Allein diesmal hatte er keine Körner, sondern schleppte ein Mäuschen,
das er ertappt hatte und das noch zappelte. Er verspeiste es ohne
Barmherzigkeit — warum war es auch in seinen Weizen gegangen!
Da hatte die Feldmaus klaren Bescheid auf die Frage, die sie bei sich
selber erwog, und schlich von der Wohnung des Hamsters noch stiller
hinweg als vorher von den Nestern der Zwergmäuse. Sie suchte sich
ein abgelegenes Eckchen im Weizenfeld, und als sie dort bereits eine
andere Feldmaus antraf, gerade so eine wie sie selbst war, bauten beide
ihre Wohnung und trugen für den Winter noch Vorrat ein. Sie ver¬
zichteten gern daraus, die Hilfe ihrer Verwandten in Anspruch zu nehmen,
halfen durch ihren Fleiß sich zurecht und genossen froh nach überstandenen
Mühsalen den Rest ihrer Tage.
70. Die Raubvögel als Feldpolizei.
Nach Hermann Wagner.
Hörst du den Hellen, scharfen Schrei, der am frühen Morgen von
dem Wipfel der hohen Alme herüberschallt? Ein Falke hat dort über¬
nachtet und schwingt sich jetzt aus zur schnellen Jagd. Hüte dich, Vög-
lein im Busch! Hütet euch, ihr Tiere des Feldes! Der Falke und
seine Kameraden, Adler, Habicht, Weihe, Bussard und Sperber, sind
scharfe, gestrenge Flurwächter, die keinen Pardon geben. Was sie vom
kleinen Getier als Feldsrevler finden, dem pfänden sie nicht nur den Rock,
sondern auch noch den Kopf.
Die gefiederte Feldpolizei des Falkengeschlechts ist mit allen Waffen
für ihr Amt ausgerüstet. Die gewaltigen Schwingen treiben sie mit
wenigen Flügelschlägen zu reißender Schnelligkeit vorwärts. Klappt der
wilde Jäger die Fittiche dicht an den Leib, so schießt er wie ein Pfeil,
der vom Bogen geschnellt wird, hinab zur Erde. Wehe dem Rebhuhn
oder der Taube, die dies lebendige Geschoß trifft! Die dicht an den
Leib gezogenen Klauen fassen den Rücken der Beute und dringen wie