Full text: [Abt. 2 = Für Quinta, [Schülerband]] (Abt. 2 = Für Quinta, [Schülerband])

Das Blatt. Die Boten des Todes. 
11 
Wicht, den ich zwischen den Fingern zerdrücken kann, du willst mir den 
Weg vertreten? Wer bist du, daß du so keck reden darfst?" „Ich bin 
der Tod," erwiderte der andere, „mir widersteht niemand, und auch du 
mußt meinen Befehlen gehorchen." Der Riese aber weigerte sich und 
fing an, mit dem Tode zu ringen. Es war ein langer, heftiger Kampf; 
zuletzt behielt der Riese die Oberhand und schlug den Tod mit seiner 
Faust nieder, daß er neben einem Stein zusammensank. Der Riese 
ging seiner Wege, und der Tod lag da besiegt und war so kraftlos, 
daß er sich nicht wieder erheben konnte. 
„Was soll daraus werden," sprach er, „wenn ich da in der Ecke 
liegen bleibe? Es stirbt niemand mehr auf der Welt, und sie wird so 
mit Menschen angefüllt werden, daß sie nicht mehr Platz haben, neben¬ 
einander zu stehen." Indem kam ein junger Mensch des Wegs, frisch 
und gesund, sang ein Lied und warf seine Augen hin und her. Als 
er den halb Ohnmächtigen erblickte, ging er mitleidig heran, richtete ihn 
auf, flößte ihm aus seiner Flasche einen stärkenden Trank ein und 
wartete, bis er wieder zu Kräften kam. „Weißt du auch," fragte der 
Fremde, indem er sich aufrichtete, „wer ich bin und wem du wieder auf 
die Beine geholfen hast?" „Nein," antwortete der Jüngling, „ich 
kenne dich nicht." „Ich bin der Tod," sprach er, „ich verschone niemand 
und kann auch mit dir keine Ausnahme machen. Damit du aber siehst, 
daß ich dankbar bin, so verspreche ich dir, daß ich dich nicht unversehens 
überfallen, sondern dir erst meine Boten senden will, bevor ich komme 
und dich abhole." „Wohlan," sprach der Jüngling, „immer ein Gewinn, 
daß ich weiß, wann du kommst, und solange wenigstens sicher vor 
dir bin." 
Dann zog er weiter, war lustig und guter Dinge und lebte in den 
Tag hinein. Allein Jugend und Gesundheit hielten nicht lange aus, 
bald kamen Krankheiten und Schmerzen, die ihn bei Tag plagten und 
ihm nachts die Ruhe wegnahmen. „Sterben werde ich nicht," sprach 
er zu sich selbst, „denn der Tod sendet erst seine Boten; ich wollte nur, 
die bösen Tage der Krankheit wären erst vorüber." Sobald er sich 
gesund fühlte, fing er wieder an, in Freuden zu leben. Da klopfte ihm 
eines Tages jemand aus die Schulter; er blickte sich um, und der Tod 
stand hinter ihm und sprach: „Folge mir, die Stunde deines Abschieds 
von der Welt ist gekommen!" „Wie," antwortete der Mensch, „willst 
du dein Wort brechen? Last du mir nicht versprochen, daß du mir, 
bevor du selbst kämst, deine Boten senden wolltest? Ich habe feilten 
gesehen." „Schweig," erwiderte der Tod, „habe ich dir nicht einen 
Boten über den anderen geschickt? Kant nicht das Fieber, stieß dich an.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.