103. Ein Tag auf der Hochebene von Peru
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ln unübersehbarer Ferne mit dem Saume des Himmelsgewölbes, und
vor mir streckten sich die dürren, unermeßlichen Hochebenen wellen¬
förmig aus, hie und da von langen, niedrigen Bergrücken mit steilen
Felsenwänden unterbrochen. Wie weniges Leben hatte noch die Sonne
geweckt rings um mich, wo das mattgelbe, kaum fingerhohe Gras mit
den grünlichen Gletschern des Gebirges verschmolz! Froh begrüßte
lch wie alte Bekannte einzelne Blumen, die ich auch in den Urwäldern
getroffen hatte; aber hier standen sie unter kümmerlichen Flechten und
Moosen, während sie dort unter mächtigen Palmen blühten. In
liefen Höhen lebt kein Schmetterling, keine Fliege, kein Insekt, und
der eifrige Naturforscher findet nur selten unter einem umgewälzten
Steine einen dunkeln Käfer. Hier und da kriecht eine träge Kröte
Ms ihrem Loch, und eine halb verhungerte Eidechse sucht auf einem
Steine die Sonnenwärme für ihre erstarrten Glieder. Aber je weiter
lch ritt, desto mehr Leben fand ich. Paarweise weidete hier die schöne
Gans der Hochebene in den Sümpfen das Gras ab, der Specht klopfte
kaut schreiend an die Felsen, um aus einer Ritze ein verlorenes Insekt
Zu locken, und hundertfach wiederholte das Echo die wunderlichen Töne.
Sorglos schritt ein schwarzgrüner Ibis an mir vorüber, und auf einer
kleinen Pfütze tummelten sich zahlreiche Enten und hochbeinige Wasser¬
vögel.
Ich hatte viele Stunden schon meinen rauhen Weg ohne Auf¬
enthalt fortgesetzt, als ich auf ein totes Maultier stieß, das vermutlich,
als es seiner Last unterlag, von: Treiber hier zurückgelassen worden
war und vor Hunger und Kälte einen elenden Tod gefunden hatte.
Als ich näher kam, störte ich drei gierige, mächtige Geier auf, die mit
chrem aus Meilen geschärften Blicke die köstliche Beute gefunden und
sich eben ihrer bemächtigt hatten. Stolz schüttelten sie das Haupt,
und indem sie Feuerblicke aus den blutroten Augen schossen, erhoben
sie die Riesenschwingen und schwebten, Verderben drohend, in immer
kleineren Kreisen über meinem Haupte, während einer, mit wütendem
Gekrächze die Beute verteidigend, in der Nähe blieb, bis ich, auf jeden
Angriff gefaßt, mit in die Höhe gerichteten Flintenläufen behutsam
an der unheimlichen Stelle vorbeigeritten war, ohne den Wegelagerern
chre Mahlzeit im geringsten streitig gemacht zu haben. Das war das
einzige feindliche Tierleben, das ich auf diesen Höhen gesunden, sonst
ruht fast alles in friedlicher Teilung des kargen Lebensgenusses, ein
leder still für sich hin, beieinander. Hier trifft man nicht jene heißen
sümpfe des Tigers mit dem mähnenlosen Löwen; keine Riesen¬
schlange lauert im kühlen Sumpfe auf d"n dürstenden Hirsch, kein
Zitteraal schlägt das badende Roß, wie in den weiten Flächen des
Ostens. Es ist, als ob die hohe Ruhe der tausend stillen Gebirgs-
Qipfel sich in den Tieren widerspiegele, die an ihrem nackten Fuße
wohnen.