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Detlev von Liliencron.
Die Sonne in sinkender Abendflul
Umrahmt seinen Helm in Gloriaglut,
Sein Auge tropft, seine Lippe bebt;
Mit ihm, mit ihm hab' ich's durchgelebt."
Sämtliche Werke, Bd. VII (Kampf und Spiele), S. 60 f.
342. Trutz, Blanke Hans.
1. Heut bin ich über Rungholt gefahren,
Die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.
Noch schlagen die Wellen da wild und empört
Wie damals, als sie die Marschen zerstört.
„ Die Maschine des Dampfers schüttelte, stöhnte,
Aus den Wassern rief es unheimlich und höhnte:
Trutz, Blanke Hans.
2. Von der Nordsee, der Mordsee, vom Festland geschieden,
Liegen die friesischen Inseln im Frieden.
Und Zeugen weltenvernichtender Wut,
Taucht Hallig auf Hallig aus fliehender Flut.
Die Möwe zankt schon auf wachsenden Watten,
Der Seehund sonnt sich auf sandigen Platten.
Trutz, Blanke Hans.
3. Im Ozean, mitten, schläft bis zur Stunde
Ein Ungeheuer tief auf dem Grunde.
Sein Haupt ruht dicht vor Englands Strand,
Die Schwanzflosse spielt bei Brasiliens Sand.
Es zieht sechs Stunden den Atem nach innen
Und treibt ihn sechs Stunden wieder von hinnen.
Trutz, Blanke Hans.
4. Doch einmal in jedem Jahrhundert entlassen
Die Kiemen gewaltige Wassermassen.
Dann holt das Untier tiefer Atem ein
Und peitscht die Wellen und" schläft wieder ein.
Viel tausend Menschen im Nordland ertrinken,
Viel reiche Länder und Städte versinken.
Trutz, Blanke Hans.
5. Rungholl ist reich und wird immer reicher,
Kein Korn mehr faßt selbst der grötzeste Speicher.
Wie zur Blütezeit im alten Rom
Staut hier täglich der Menschenstrom.
Die Sänften tragen Syrer und Mohren
Mit Goldblech und Flitter in Nasen und Ohren.
Trutz, Blanke Hans.