Full text: Deutsche Dichtung des 18. Jahrhunderts (Band 2, [Schülerband])

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Der Karlsschüler 
Aber ich war nicht nur arm, ich war auch ein ungewandter und nun 
vollends eingeschüchterter Knabe, der wegen seines linkischen Wesens 
fortwährend gescholten und gestraft wurde. War das meine Schuld? 
Warum gab die Natur gerade mir ein ungestüm inneres und ein so träg 
nachhinkendes äußeres Wesen ? So ward meine Jugend ein fortdauern— 
des Leiden, und als ich mich endlich mühsam in die aufgedrungene Bahn 
gefunden, da hieß es wiederum halt! Kein Jurist! Mediziner soll der 
Bursche werden, das paßt besser für den armen Teufel, und zum zweiten⸗ 
mal gewaltsam wurde der Ruck meines Innern erzwungen, ob auch 
alle Fugen in mir krachten und schmerzten. Was da! hieß es, der Mensch 
ist eine Maschine, man dreht sie und stellt sie und zwingt sie in Gang. 
Der Mensch ist keine Maschinel! schrie es auf in meiner Brust 
und schrie es so lange, bis wir alle wußten, solche Erziehung sei Miß— 
handlung, bis wir alle fest entschlossen waren uns aufzulehnen. War's 
nun ein Wunder, daß die verschrobene Seele krampfhaft hineingerissen 
wurde in wilde Phantasien, war's nun ein Wunder, daß wir Ideale 
ausbrüteten von ungetümer Natur?! Die Seele braucht Speise und 
Trank wie der Leib; das Ideal ist ihr Speise und Trank. Konnte 
unser Ideal dem Herrn der Karlsschule wohlgefällig werden ? Vor 
unsern Augen war Kampf und Gewalt gegen die Vertreter des 
Landes, vor unsern Augen war Verhöhnung des Freiheitsgedankens, 
welcher jenseits des Meeres schmetternde Siege erfocht, vor unsern Augen 
Verhöhnung deutschen Dranges nach eigener Literatur und Kunst, vor 
unsern Augen allüberall Druck auf Hirn und Herz: mußte da nicht jener 
entsetzliche Zustand in uns entstehen, welcher die Augen schließt und blind 
mit dem Haupt gegen die Schranke rennt, mußten da nicht die Räuber 
entstehen, welche man nun so entsetzlich findet?! Sie mußten entstehen, 
und die deutsche Karlsschule ist die Mutter des Stücks, der Herzog von 
Württemberg ist der Vater desselben. 
Pause.) 
(Es donnert.) 
Hherzog: Wenn du horchst, Franziska, so erfährst du, daß ich Recht 
gehabt und daß er reif ist, wie ich mir gedacht. (Er geht hinten nach 
dem Ausgange, als wolle er nach dem Wetter sehen, geht dann rasch 
auf die zweite Tür links zu, als wolle er Rieger rufen, bleibt aber plötzlich 
stehen, betrachtet wie mitleidig Schiller und kommt an seinen Platz zurück, 
das nächste mild, aber immer verhalten sprechend.) Du ruinierst dich, 
mein Sohn, durch deine Heftigkeit. Ich hätte es lieber gesehen, wenn 
ich dir verzeihen gekonnt. Du bist aber wohl für nichts zu brauchen, 
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