Annette von Droste-Hülshoff.
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2. Plötzlich zuckt, es flattert der Weih
Und klatscht in taumelnden Ringen,
Uberm Kliffe sein wilder Schrei,
Dann steigt er, wiegend die Schwin¬
gen;
Und am Grunde es stampft und surrt:
Hart unter dem Felsenmale,
Netz im Haare, Pistol im Gurt,
Zwölf Schergen reiten zu Tale.
3. Wo den Schatten verkürzt das Riff
Wirft über die zitternde Aue,
Starrt gefesselt der rote Jocliffe
Hinauf zum Vogel ins Blaue.
Dürr seine Zunge — kein Tropfen
labt —
Er lacht in grimmigem Hohne;
Neben ihm der Podesta trabt
Und pfeift sich eine Kanzone.
4. Rüstig stampfen die Rosse fort,
Dann—halt! Es lagert die Bande;
Hier ein Scherge, ein anderer dort,
Gestreckt im knisternden Sande.
Die Zigarre läßt an den Grund
Ihr bläuliches Wölkchen schwelen,
Und der Schlauch, von Mund zuMund,
Strömt in die durstigen Kehlen.
5. Wie so lockend die Taube lacht
Aus grünem, duftigem Haine!
Von den zwölfen heben sich acht;
Sie schlendern entlang das Gesteine,
Lässig, spielend, so sorgenbar
Wie junge Geier im Neste,
Dieser zupfet des Nachbars Haar,
Der schnitzelt am Zwiebelreste.
6. Einer so nach dem andern schwankt
Ins Grün' aus der sengenden Hitze,
Halt! wie elektrisch Feuer rankt
Von Aug' zu Aug' ein Eeblitze.
Horch, sie flüstern! Zwei und zwei,
Die Pinien streifen sie leise,
Wie die Hinde witternd und scheu
Schlüpft über befahrene Gleise.
7. Zwei am Hange und zwei hinab
Und vier zur Rechten und Linken,
Sachte beugen den Ast sie ab,
Ihre Augen wie Vipern blinken;
Da — im Moose ein dürrer Baum
Mit wunderlich brauner Schale —
Hui! ein Pfiff aus gekrümmtem
Daum —
Hub dort —und drunten irrt Tale.
8. Fährt vom Moose Eeronimo,
Und eh'ihn die Schergen umschlingen,
Wie im Heid' die knisternde Loh',
Ha! sieh ihn flattern und springen!
Knall auf Knall, eine Kugel pfeift
Ihm durch der Retilla Knoten:
Blutend er an dem Gesteine läuft
Bis zum Jocliffe, dem roten.
9. Hoch die Rechte — will er schnell
Sich rächen zu dieser Stunde?
Nein, am Rosse schreibt das Kartell
Er rasch mit klaffender Wunde.
Hoch die Linke — es knallt, es blitzt,
Und taumelnd sinkt der Podesta;
Ruft der Korse: „So hab es itzt,
Du Hund, für den kühnen di Vesta!"
io. O Eeronimo! hätten dich fort,
Fort, fort deine Sprünge getragen,
Als die einen am Riffe dort
Die andern klommen am Hagen!
Schwerlich heute, so mein' ich klar,
Sie würden die Stadt erschrecken
Mit der Leiche auf grüner Bahr'
Und mit dir, gebunden am Schecken!
Ges. Schriften, Tl. I (Lyrische Gedichte), S. 293 ff.