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Ernst von Wildenbruch.
Trug ich nicht ihrer Schiffe
Buntbewimpelte Schar
so Fröhlich von Ort zu Ort
Mit Schätzen in fremdes Land?
Schenkte ich nicht ihren Harfen
Meiner Stimme brausenden Donner,
Daß die Völker horchten und staunten,
55 Wenn ihre Sänger zum Sang sich erhoben?
Fremdling, wo sind meine Binder geblieben?
Nie mehr vernahm ihrer fröhlichen Reigen
Seligen Chor ich; ach, ihre Tempel
Fielen zur Erde, den Fremden ein Raub.
60 Wandelt ihr Futz noch auf blühender Erde,
Kehren sie nie zu der Mutter zurück?"
Und hernieder zur klagenden Mutter
Floß die Träne des Wandrers, und: „Schweige,"
Sprach ich, „o schweig, du Verlassene.
65 Latz deine Sehnsucht, Sehnen ist Hoffen —
Hoffe nicht länger, sie sind dahin.
Über den Menschen, den armen, vergänglichen,
Schreitet die unvergängliche Zeit,
Und mit dem Futze, dem dumpf unerbittlichen,
70 Stampft sein erloschenes Herz sie zu Asche;
Über sein Hoffen, Bangen und Schaffen
Webt sie mit schweigendem, totem Lächeln
Ödes Vergessen, ein graues Gespinst."
Da hob sich auf brausendem Fittich
75 Aus Hymettus' Bergen ein Sturmwind;
Sein Hauch war duftend und frisch
Wie der Odem der Quelle;
Jauchzend stürmt' er zum Meere
Hernieder, zum alten Gespielen,
80 Frohlockend erhob er tönenden Ruf,
Und: „Klage nicht", jubelt' er, „klage nicht mehr!"
Wisse, den Erdball hab' ich durchflogen,
Aufgang und Niedergang, Mittag und Nacht;
Und wie die Sterne, die himmlischen Augen,
85 Flammend stehen im Antlitz der Nacht,
Sah ich den Namen deines Geschlechtes
Leuchtend geschrieben über der Welt.