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gelehrte Selbstverleugnung betätigen zu müssen glaubten. Mit dem Erwerb von Reichtum
und Macht ging aber auch die ursprüngliche asketische Zucht verloren. Jede Ordens¬
stiftung trug wie das Kultursystem des Mittelalters überhaupt seine eigene Widerlegung
in sich. Auch die geistlichen Ritterorden, welche die Vorkämpfer der Christenheit gegen
die Ungläubigen und berufensten Träger der kirchlichen Eroberungspolitik waren, verloren
eben durch die Ausübung ihres Berufes mehr und mehr ihren geistlichen Charakter,
indem sie ihre eigene politische, wirtschaftliche und militärische Machtstellung zum Mittel¬
punkt ihrer Tätigkeit machten. So erging es dem Johanniterorden und in noch größerem
Maße dem Orden der Tempelherrn. Die religiösen Zwecke wurden den Ritterorden
ebenso wie den Mönchsorden zur Ursache eines reichen Güter- und Machterwerbs. Der
außerordentliche Umfang dieses Besitzes zwang dieselben aber zur Befolgung einer den
letzteren in erster Linie berücksichtigenden Politik, also zur Entfremdung von der Kirche
und ihren ursprünglichen Zwecken.
Von der Kirche selbst führte demnach kein Weg aus diesem Zirkel heraus, so sehr
sie sich auch von Zeit zu Zeit um eine sittliche Reform des Klerus bemühte. Nur von
außen heraus also ließ sich der Zirkel des kirchlichen Systems lösen. Dieser von außen
eingreifende Widerspruch wurde allerdings durch die Kirche selber ins Leben gerufen und
zwar durch die weltlichen Machtzwecke derselben, welche auf allen Gebieten einen ziemlich
gleichmäßigen Widerstand der weltlichen Interessen veranlaßten. Doch entwickelte sich
derselbe nur allmählich zu einer grundsätzlichen Verneinung der Kirche. Zunächst richtete
sich derselbe keineswegs gegen die theoretische Grundlage der kirchlichen Politik. Vielmehr
wurde die religiöse Lehre der Kirche sowie die Lehre der letzteren als einer von Gott gestifteten
Vermittlungsanstalt nicht im mindesten in Zweifel gezogen. Der gegen die weltlichen
Bestrebungen der Kirche gerichtete Widerstand entbehrte deshalb zunächst eigentlich jeder
logischen Begründung. Derselbe war vielmehr lediglich empirischer Natur und nur durch
den Zwang der praktischen Verhältnisse veranlaßt. Das Schwergewicht der irdischen
Lebensbedingungen war zu groß, als daß es hätte überwunden werden können. Aus
allen Gebieten sah sich die Kirche zur Nachgiebigkeit gegen die Mächte des weltlichen
Lebens gezwungen. Nirgends war das Mittelalter in der Lage, das System seiner
transzendenten Weltanschauung bis zu seinen letzten logischen Folgerungen zu behaupten.
Es mußte den weltlichen Staat, die Ehe, die gesellschaftlichen Stände, den wirtschaftlichen
Güterbesitz, die staatliche Jurisdiktion, das wissenschaftliche Studium weltlicher Gegen¬
stände, die weltliche Liebes- und Heldendichtung bestehen lassen, obwohl die Logik seines
Systems die völlige Beseitigung derselben forderte. Allerdings stand die Kirche in diesen
Zugeständnissen keineswegs von dem Streben nach einer vollen Ausführung ihres Gottes-
staates ab. Vielmehr hielt sie auf allen Gebieten die absolute Verneinung der Welt¬
lichkeit und die völlige Auflösung derselben in das System des Gottesstaates als das
ideale Ziel fest und behandelte sie alle ihre Zugeständnisse nur als die dem Zwange der
Verhältnisse entsprechend bemessenen Mittel zur Erfüllung ihrer letzten Zwecke. Doch
wurde der Ausbau des Systems über diesen Zustand niemals hinausgeführt. Die Kirche
hat sogar um den Gewinn und die Behauptung dieses eingeschränkten Machtbesitzes un¬
ausgesetzt kämpfen müssen. Die weltlichen Mächte begnügten sich keineswegs mit den ihnen
von der Kirche belassenen Gebieten. In der Theorie erkannten sie die Grenzbestimmungen
der Kirche zwar an, in der Praxis aber gingen sie weit über dieselben hinaus und be¬
haupteten ihre Interessen dem Einspruch der Kirche zum Trotz.
Der stete Widerstreit mit sich selber, der Widerstreit der transzendenten Idee des
religiösen Glaubens und der Existenzbedingungen des irdischen Lebens bildete das