Full text: Prosa aus Religion, Wissenschaft und Kunst (Band 2, [Schülerband])

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Unsere Kinder sind unsere Schätze, und unsere Augen ruhen voll Zufriedenheit und 
Hoffnung auf ihnen. Der Kronprinz ist voller Leben und Geist. Er hat vorzügliche 
Talente, die glücklich entwickelt und gebildet werden. Er ist wahr in allen seinen Em¬ 
pfindungen und Worten, und seine Lebhaftigkeit macht Verstellung unmöglich. Er lernt 
mit vorzüglichem Erfolge Geschichte, und das Große und Gute zieht seinen idealen Sinn 
an sich. Für das Witzige hat er viel Empfänglichkeit, und seine komischen, überraschenden 
Einfälle unterhalten uns sehr angenehm. Er hängt vorzüglich an der Mutter, und er 
kann nicht reiner sein, als er ist. Ich habe ihn sehr lieb und spreche oft mit ihm davon, 
wie es sein wird, wenn er einmal König ist. 
Unser Sohn Wilhelm (erlauben Sie, ehrwürdiger Großvater, daß ich Ihre Enkel 
nach der Reihe Ihnen vorstelle) wird, wenn mich nicht alles trügt, wie sein Vater, ein¬ 
fach, bieder und verständig. Auch in seinem Äußern hat er die meiste Ähnlichkeit mit 
ihm; nur wird er, glaube ich, nicht so schön. Sie sehen, lieber Vater, ich bin noch 
in meinen Mann verliebt. Unsere Tochter Charlotte macht mir immer mehr Freude; sie 
ist zwar verschlossen und in sich gekehrt, verbirgt aber wie ihr Vater hinter einer schein¬ 
bar kalten Hülle ein warmes, teilnehmendes Herz. Scheinbar gleichgültig geht sie einher, 
hat aber viel Liebe und Teilnahme. Daher kommt es, daß sie etwas Vornehmes in ihrem 
Wesen hat. Erhält sie Gott am Leben, so ahne ich für sie eine glänzende Zukunft. 
Karl ist gutmütig, fröhlich, bieder und talentvoll; körperlich entwickelt er sich eben so 
gut als geistig. Er hat oft naive Einfälle, die uns zum Lachen reizen. Er ist heiter 
und witzig. Sein unaufhörliches Fragen setzt mich oft in Verlegenheit, weil ich sie nicht 
beantworten kann und darf; doch zeigt es von Wißbegierde — zuweilen, wenn er schlau 
lächelt, auch von Neugierde. Er wird, ohne die Teilnahme an dem Wohl und Wehe 
anderer zu verlieren, leicht und ftöhlich durchs Leben gehen. — Unsere Tochter Alexandrine 
ist, wie Mädchen ihres Alters und Naturells sind, anschmiegend und kindlich. Sie zeigt 
eine richtige Auffassungsgabe, eine lebhafte Einbildungskraft und kann oft herzlich lachen. 
Für das Komische hat sie viel Sinn und Empfänglichkeit. Sie hat Anlage zum Satirischen 
und siehet dabei ernsthaft aus; doch schadet das ihrer Gemütlichkeit nicht. Von der kleinen 
Luise läßt sich noch nichts sagen. Sie hat das Profil ihres redlichen Vaters und die 
Augen des Königs, nur etwas Heller. Sie heißt Luise; möge sie ihrer Ahnfrau, der 
liebenswürdigen und frommen Luise von Oranien, der würdigen Gemahlin des Großen 
Kurfürsten, ähnlich werden. 
Da habe ich Ihnen, geliebter Vater, meine ganze Gallerie vorgeführt. Sie werden 
sagen: das ist einmal eine in ihre Kinder verliebte Mutter, die an ihnen nur Gutes 
siehet und für ihre Mängel und Fehler kein Auge hat. Und in Wahrheit, böse Anlagen, 
die für die Zukunft besorgt machten, finde ich an allen nicht. Sie haben wie andere 
Menschenkinder auch ihre Unarten; aber diese verlieren sich mit der Zeit, so wie sie 
verständiger werden. Umstände und Verhältnisse erziehen den Menschen, und für unsere 
Kinder mag es gut sein, daß sie die ernste Seite des Lebens schon in ihrer Jugend 
kennen lernen. Wären sie im Schoße des Überflusses und der Bequemlichkeit groß ge¬ 
worden, so würden sie meinen, das müsse so sein. Daß es aber anders kommen kann, 
sehen sie an dem ernsten Angesicht ihres Vaters und an der Wehmut und den öftern 
Tränen der Mutter. Besonders wohltätig ist es dem Kronprinzen, daß er das Unglück 
schon als Jüngling kennen lernt; er wird das Glück, wenn, wie ich hoffe, künftig für 
ihn eine bessere Zeit kommen wird, um so höher schätzen und um so sorgfältiger bewahren. 
Meine Sorgfalt ist meinen Kindern gewidmet für und für, und ich bitte Gott täglich 
in meinem sie einschließenden Gebete, daß er sie segnen und seinen guten Geist nicht von
	        
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