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Ohne diesen Rückhalt wäre die Reformation eine sektiererische Bewegung innerhalb der
Kirche geblieben wie so manche früheren Versuche. Insofern läßt sie sich nicht trennen
von der modernen Art. Aber andrerseits ist sie mit der Tiefe und Ausschließlichkeit
ihres religiösen Verlangens, mit ihrem Bewußtsein der Nichtigkeit des bloßen Menschen
und aller irdischen Dinge durchaus unmodern, ja antimodern. So entsteht die Verwicklung,
daß je mehr sie ihren religiösen Charakter ausprägt, sie desto härter mit dem Inhalt
der modernen Überzeugung zusammenstößt, deren allgemeinste Denkweise sie doch für sich
selbst nicht entbehren kann; daß sie dagegen ihre religiöse Eigentümlichkeit zu verflachen
droht, sobald sie sich rückhaltlos dem Strome des modernen Lebens hingibt. Wird dieser
Konflikt zur Sache innerlichster persönlicher Erfahrung wie bei Luther, dein geistigen
Haupt der ganzen reformatorischen Bewegung, so entsteht daraus eine ergreifende Tragik;
die äußeren schmerzlichen Erfahrungen seines Lebens haben diese Tragik nicht erzeugt,
sondern nur zum Ausdruck gebracht. Aber in so erschütternden Kämpfen erlangt der
Lebensprozeß eine Tiefe und eine Gewalt, der das ganze Mittelalter nichts Ähnliches an
die Seite zu setzen hat, und von der bleibend eine unversiegliche Frische ausströmt. . .
Es erhebt sich sin der Reformationj ein kräftiges, männliches, tatfreudiges Christen¬
tum einer jugendfrischen und aufstrebenden, nicht einer greisen und welken Menschheit;
es kommt damit zuerst die neue Lage der neuen Völker zu ihrem Recht. In der älteren
Gestaltung war nicht die ganze Aktivität des Menschen in die Religion aufgenommen;
unendlich viel an Lebensenergie war aufzugeben oder herabzustimmen, damit er in besonderer
Richtung den Zugang zum Göttlichen finde. Jetzt aber sehen wir aus der ungeheuren
Erschütterung einen neuen Menschen voll frischer und froher Lebenskraft entstehen; diese
Kraft stammt nicht aus bloßer Natur, sondern gänzlich aus freier Gnade, sie wird
unablässig durch ein göttliches Wunder getragen; der Vorwurf des Naturalismus findet
hier daher keinen Raum. Aber mit jener Wiederherstellung eines tätigen Wesens erhält
der Mensch einen unablässigen Antrieb zu handeln und zu schaffen, er gewinnt ein
freundlicheres Verhältnis zur Welt, er kann mächtig in ihr wirken, ohne in sie auszugehen,
er kann die Freude und Fröhlichkeit, die aus dem innersten Wesen quillt, auf das Leben
in der Welt ergießen und damit auch die Natur erklären, ohne irgend den Schmerz und
die Dunkelheit menschlichen Daseins abzuschwächen. Damit wird zugleich eine innere
Ausgleichung von Religion und Kulturarbeit angebahnt, wenn auch ihr Fortgang damals
noch nicht gelingen will.
In anderer Richtung wirkt als Tat von weltgeschichtlicher Bedeutung die reine
Herausbildung des geistigen Charakters des Christentums, die Austreibung der Vermengung
von Sinnlichem und Geistigem, wie sie vom Altertum und Mittelalter überliefert war.
Die Stellung des Sinnlichen war in der frühern Fassung unerklärt und widerspruchs¬
voll. Bald war es in mystischem Gedankenzuge zu einem bloßen Schein verflüchtigt,
bald in magischer Festlegung und Vergröberung mit dem geistigen Grundprozeß unmittelbar
zusanunengeschmolzen. Durch solche Materialisierung war manches erwachsen, was nach
der Verlegung des religiösen Prozesses in eine reine Innerlichkeit von Geist und Gemüt
nicht anders als Aberglaube und Götzendienst erscheinen konnte. Die Befreiung davon
erschien sowohl als eine Wiederherstellung und Erfüllung der Religion, welche eine
Anbetung im Geist und in der Wahrheit verlangt, wie auch als eine mächtige Erhöhung
des Lebens in sich selbst; nach so gewonnener Klarheit konnte die frühere Art nur als
eine niedere, innerlich sicher überwundene Stufe erscheinen.
Mit jener Wendung zur reinen Innerlichkeit wird die Persönlichkeit des einzelnen
zum Hauptschauplatz des Lebens. Unmittelbar bei sich selbst muß jeder den großen Welt-