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ihrer Stifter zu nennen und die Titel der Werke anzugeben, die von Millionen als
Autorität für ihren Glauben verehrt werden. Viele würden es für bloße Zeitverfchwendung
ansehen, wollten sie sich mit dem Studium von Werken beschäftigen wie der Koran der
Mohammedaner, das Zendavesta der Parsis, die Kings des Konfucius, der Tao-te King
der Taoisten, das Tripitaka der Buddhisten, die Sütras der Jainas oder der Granth der
Sikhs. Wollte man aber behaupten, daß dies Gebot sich nur auf die philosophischen
Systeme der Griechen und Römer bezieht, so würde man dem Apostel eine große Geistes¬
beschränktheit zuschreiben und zugestehen, daß seine Lehre sich weder für alle Zeiten noch
für alle Nationen eignet.
Viele werden freilich fragen, welcher Nutzen aus dem Studium von Werken er¬
wachsen könne, deren Verfasser entweder Betrogene oder Betrüger waren, und es ließen
sich leicht Stellen anführen, um die Absurdität und Wertlosigkeit der religiösen Bücher
der Inder und Chinesen zu beweisen. Aber nicht in diesem Geist sprach der Apostel der
Heiden zu den Epikureern und Stoikern, und nicht mit diesen Gefühlen wird ein denkender
Christ, der an die göttliche Lenkung der Welt glaubt, ein Buch niederlegen, von dem
er weiß, daß es für Tausende und Abertausende von Menschen die Quelle war, aus der
allein sie Licht und Trost schöpfen konnten.
Von all den großen Vorteilen, die uns das Studium fremder Religionen gewährt,
ist der größte gewiß der, daß wir unsere eigene nur um so mehr würdigen lernen. Nie
empfinden wir die Vorzüge unserer Heimat lebhafter, als wenn wir aus der Ferne zurück¬
kehren, und dasselbe ist bei unserer Religion der Fall. Wenn wir untersuchen, was
andern Völkern als Religion gedient hat und noch dient, wenn wir die Gebete, den
Gottesdienst, die Theologie der gebildetsten Völker, selbst der Griechen, Römer, Inder und
Perser, einer genauen Prüfung unterwerfen, so werden wir nur mit vollerem Bewußt¬
sein erkennen, welche Segnungen wir dadurch genießen, daß wir vom ersten Augenblicke
unseres Daseins an die reine Luft eines christlich gebildeten Landes atmeten. Wir kommen
nur zu leicht dahin, die größten Segnungen als selbstverständlich anzusehen, und unsere
Religion selbst macht hiervon keine Ausnahme. Wir haben selbst so wenig getan, um
unsere Religion zu erlangen, so wenig für die Wahrheit derselben gelitten, daß wir
unser Christentum, wie sehr wir es auch immer schätzen mögen, doch nie hoch genug
schätzen, bis wir es mit andern Religionen verglichen haben.
Dies ist aber nicht der einzige Vorteil. Lehrt uns die Kenntnis anderer Länder und
das Studium fremder Sitten und Gebräuche unsere eigenen besser schätzen, so ist es zugleich
das beste Präservativ gegen jene so häufig vorkommende anmaßende und lieblose Be¬
urteilung alles Fremden und Ausländischen. Das Gefühl, das die Hellenen bestimmte,
die ganze Menschheit in Griechen und Barbaren einzuteilen, ist mit der menschlichen
Natur so eng verwachsen, daß selbst das Christentum es nicht ganz auszurotten vermochte.
Deshalb erscheint uns aus den ersten Blick, den wir auf das Labyrinth der verschiedenen
Religionen werfen, alles als Finsternis, Selbsttäuschung und Eitelkeit. Es erscheint wie
eine Entweihung des Wortes Religion, wenn wir damit die wahnsinnigen Schwärmereien
der indischen Aogins oder die Blasphemien der Buddhisten bezeichnen. Indem wir uns
aber langsam und mit Ausdauer in diesen Jrrgängen zurecht zu finden suchen, scheint
sich unser Blick zu erweitern, und wir entdecken einen schwachen Lichtschimmer, wo zuerst
alles in Dunkel gehüllt war. Wir verstehen das Wort eines Mannes, der mit mehr
Recht als jeder andere über diesen Gegenstand urteilen durfte: „Es gibt feine Religion,
die nicht einen Funken Wahrheit enthielte".