Full text: Poetische Blumenlese oder Grundlagen für den Unterricht in der Poetik und Litteraturgeschichte

VII. Elegieen 
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58. Aus dem Felsbruch wiegt sich der Stein, vom Hebel beflügelt; 
In der Gebirge Schlucht taucht sich der Bergmann hinab 
54. Mulcibers Amboß tönt von dem Takt geschwungener Hämmer; 
Unter der nervigten Faust spritzen die Funken des Stahls. 
55. Glänzend umwindet der goldene Lein die tanzende Spindel; 
Durch die Saiten des Garns sauset das webende Schiff. 
56. Fern auf der Rhede ruft der Pilot, es warten die Flotten, 
Die in der Fremdlinge Land tragen den heimischen Fleiß; 
57. Andre ziehen frohlockend dort ein, mit den Gaben der Ferne; 
Hoch von dem ragenden Mast wehet der festliche Kranz. 
58. Siehe, da wimmeln die Märkte, der Krahn von fröhlichem Leben, 
Seltsamer Sprachen Gewirr braust in das wundernde Ohr. 
59. Auf den Stapel schüttet die Ernten der Erde der Kaufmann, 
Was dem glühenden Strahl Afrikas Boden gebiert, 
60. Was Arabien kocht, was die äußerste Thule bereitet, 
Hoch mit erfreuendem Gut füllt Amalthea das Horn 
61. Da gebieret das Glück dem Talente die göttlichen Kinder, 
Von der Freiheit gesäugt, wachsen die Künste der Lust. 
62. Mit nachahmendem Leben erfreuet der Bildner die Augen, 
Und vom Meißel beseelt, redet der fühlende Stein. 
63. Künstliche Himmel ruhn auf schlanken, ionischen Säulen, 
Und den ganzen Olymp schließet ein Pantheon ein. 
64 Leicht wie der Iris Sprung durch die Luft, wie der Pfeil von der Senne, 
Hüpfet der Brücke Joch über den brausenden Strom. 
65. Aber im stillen Gemach entwirft bedeutende Zirkel 
Sinnend der Weise, beschleicht forschend den schaffenden Geist, 
66. Prüft der Stoffe Gewalt, der Magnete Hassen und Lieben, 
Folgt durch die Lüfte dem Klang, folgt durch den Ather dem Strahl, 
67. Sucht das vertraute Gesetz in des Zufalls grausenden Wundern, 
Sucht den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht. 
68. Körper und Stimme leiht die Schrift dem stummen Gedanken, 
Durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redende Blatt. 
69. Da zerrinnt vor dem wundernden Blick der Nebel des Wahnes, 
Und die Gebilde der Nacht weichen dem tagenden Licht. 
70. Seine Fesseln zerbricht der Mensch, der beglückte! Zerriss' er 
Mit den Fesseln der Furcht nur nicht den Zügel der Scham! 
71. „Freiheit!“ ruft die Vernunft, Freiheit!“ die wilde Begierde, 
Von der heil'gen Natur ringen sie lüstern sich los. 
72. Ach, da reißen im Sturm die Anker, die an dem Ufer 
Warnend ihn hielten, ihn faßt mächtig der flutende Strom; 
73. Ins Unendliche reißt er ihn hin, die Küste verschwindet, 
Hoch auf der Fluten Gebirg' wiegt sich entmastet der Kahn; 
74. Hinter Wolken erlöschen des Wagens beharrliche Sterne, 
Bleibend ist nichts mehr, es irrt selbst in dem Busen der Gott. 
75. Aus dem Gespräche verschwindet die Wahrheit, Glauben und Treue 
Aus dem Leben, es lügt selbst auf der Lippe der Schwur.
	        
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