Full text: (Drittes und viertes Schuljahr) (Teil 2, [Schülerband])

einem Tische, einer Bank, einer Bettstelle, einem Strohbnnd und mit 
einem Häufchen Lumpen, das dasselbe bedeutet, wie bei andern Leuten 
der Kleiderschrank. Im Bett liegt eine kranke Frau. 
„Alles verkauft bis auf einen, Mutter," sagt der Junge. Und 
Plötzlich: „Gott, das brennt ja wohl nebenan?" 
Durch die Ritzen in der Tür fällt Lichtschein. Der Knabe springt 
hin und öffnet. 
Da steht das Kind mit dem Kätzchen im Flur, in der Hand die 
Schnarre. Es steht da in einem zitternden und geheimnisvollen Licht- 
glanz, der gleichsam die Haut und die Lumpen au ihm durchtränkt. 
Die tiefen Augen sind voll Liebe, und der kleine Mund lächelt. 
„Selig sind die Barmherzigen," sagt es. 
Der Glanz dunkelt wieder — es ist verschwunden. 
Victor Blüthgeii. 
58. Das braue ITlüfferchen. 
War im Winter, und das Eis stand. Da beschlossen die Husumer, 
ein großes Fest zu feiern; sie schlugen Zelte auf, und alt und jung, 
die ganze Stadt versammelte sich draußen. Die einen liefen Schlitt¬ 
schuh, die andern fuhren in Schlitten, in den Zelten erscholl Musik, 
und Tänzer und Tänzerinnen schwenkten sich herum, und die Alten 
saßen au den Tischen und tranken eins. Es verging der ganze Tag, 
und der helle Mond ging auf; aber der Jubel schien nun erst recht 
anzugehen. 
Nur ein altes Mütterchen war von den Leuten allein in der Stadt 
geblieben. Sie war krank und gebrechlich und konnte ihre Füße nicht 
mehr gebrauchen; aber da ihr Häuschen ans dem Deich stand, konnte 
sie von ihrem Bett aus aufs Eis hinaussehen und sich die Freude be¬ 
trachten. Wie es nun gegen den Abend kam, da gewahrte sie, indem 
sie so auf die See hinaus sah, im Westen ein kleines, weißes Wölkchen, 
das eben aus der Kimmung aufstieg. Gleich befiel sie eine unendliche 
Angst; sie war in früheren Tagen mit ihrem Mann zur See gewesen 
und verstand sich wohl auf Wind und Wetter. Sie rechnete nach: 
„In einer kleinen Stunde wird die Flut da sein, dann wird ein Sturm 
losbrechen, und alle sind verloren!" Da rief und jammerte sie so laut, 
als sie nur konnte, aber niemand war in ihrem Hause, und die Nach¬ 
barn waren alle ans dem Eise; niemand hörte sie. 
Immer größer ward unterdes die Wolke und allmählich immer 
schwärzer; noch einige Minuten, und die Flut mußte da sein, der Sturm 
losbrechen. Da rafft sie alle ihre Kraft zusammen und kriecht auf 
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