Full text: [Teil 3 = (4. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 3 = (4. Schuljahr), [Schülerband])

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zweifelnde Vater sorgte für das Begräbnis des Sohnes. Es war eine 
Insel, wo er sich niedergelassen und wo der Leichnam ans Ufer ge— 
schwemmt worden war. Zum ewigen Gedächtnis an das jammervolle 
Ereignis erhielt das Eiland den Namen Ikaria. 
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Gustav Schwab. 
132. Orpheus und Eurndice. 
Der umvergleichliche Sänger Orpheus war ein Sohn des thrakischen 
Königs und Flußgottes Hagrus und der Muse Kalliope. Apollo selbst, 
der melodische Gott, schenkte ihm ein Saitenspiel, und wenn Orpheus das— 
selbe rührte und dazu seinen herrlichen Gesang, den seine Mutter ihn 
gelehrt hatte, ertönen ließ, so kamen die Vögel in der Luft, die Fische im 
Wasser, die Tiere des Waldes, ja, die Bäume und Felsen herbei, um den 
wunderbaren Klängen zu lauschen. Seine Gattin war die holdselige Najade 
Eurnydice, und sie liebten sich beide auf das zärtlichste. Aber ach! nur 
allzu kurz war ihr Glück; denn kaum waren die fröhlichen Lieder der 
hochzeit verstummt, da raffte ein früher Tod die blühende Gattin dahin. 
Auf grüner Hue lustwandelte die schöne Curydice mit ihren Gespielinnen, den 
Unmmphen; da stach sie eine giftige Natter, die im Grase versteckt lag, in 
die zarte Ferse, und sterbend sank die Liebliche ihren erschreckten Freun— 
dinnen in die Arme. Unaufhörlich hallten nun die Berge und Täler vom 
Schluchzen und Klagen der Nymphen wider, und unter ihnen jammerte und 
sang Orpheus, seinen Schmerz in wehmütigen Liedern austönend; da 
trauerten die Vöglein und die klugen hirsche und Rehe mit dem verlassenen 
Gatten. Aber sein Flehen und Weinen brachte die Verlorene nicht zurück. 
Da faßte er einen unerhörten Entschluß: hinunter in das grausige Reich 
der Schatten wollte er steigen, um das finstre Königspaar zur Rückgabe 
Eurydices zu bewegen. Durch die Pforte der Unterwelt bei Tänarum ging 
er hinab; schaurig umschwebten die Schatten der Toten den Lebenden; er 
aber schritt mitten durch die Schrecknisse des Orkus, bis er vor den Thron 
des bleichen Hades und seiner strengen Gemahlin trat. Dort faßte er 
seine Leier und sang zum süßen Klange der Saiten: „O, ihr Herrscher 
des unterirdischen Reiches, höret gnädig meine Bitten an! Nicht 
kam ich herab von Neugier getrieben, den Tartarus zu schauen, 
nicht um den dreiköpfigen Hund zu fesseln; ach nein, um der Gattin 
willen nah' ich mich euch. Vom Biß der tückischen Natter vergiftet, 
sank die Teure in der Jugend Blüte dahin; nur wenige Tage war 
sie meines Hauses Stolz und Freude. Sehet, ich wollte es tragen, das 
unermeßliche Leid; als Mann hab' ich lange gerungen. Aber die Liebe 
zerbricht mir das Herz; ich kann nicht ohne Eurydice sein. Darum fleh' 
ich zu euch, furchtbare, heilige Götter des Todes, bei diesen grauenvollen
	        
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