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Es war als ob die ganze Welt in Flammen stünde, so blitzte es.
Als das böse Wetter später vorbei war, standen die Blumen
und das Getreide in der stillen, reinen Luft erfrischt vom Regen,
aber der Buchweizen war vom Blitze kohlschwarz gebrannt; er war
nun ein totes Unkraut auf dem Felde.
Der alte Weidenbaum bewegte seine Zweige im Winde und es
fielen große Wassertropfen von den grünen Blättern, als ob der Baum
weine, und die Sperlinge fragten: „Weshalb weinest du ? Hier ist es
ja so gesegnet! Sieh, wie die Sonne scheint; sieh, wie die Wolken
ziehen! Atmest du nicht den Duft von Blumen und Büschen? Wes¬
halb weinest du, Weidenbaum?“
Und der Weidenbaum erzählte vom Stolze des Buchweizens,
von seinem Übermut und von der Strafe, die diesem immer folgt.
Ich, der ich die Geschichte erzähle, habe sie von den Sperlingen ge¬
hört. Sie erzählten sie mir eines Abends, als ich um ein Märchen
bat. H. Chr. Andersen. Sämtl. Märchen. Leipz. 18618. 8. 134 ff.
Vgl. Engleder, Wandtaf. z. Pflanzenkunde Nr. 48 (Buchweizen) od. Pilling-
Müller, Anschauungstaf. z. Pflanzenkunde Nr. 30 (Buchweizen).
9. Der bekehrte Stiefelknecht.
In der Schreibstube des Amtmanns stand ein Stiefelknecht, der
brummte unzufrieden vor sich hin: „Es ist doch ein jämmerlich Ding
um das Leben, wenn man immer im Winkel stehen und auf die
Herren Stiefel warten muß! Und wie beschmutzt kommen sie oft
an und wie grob behandeln sie mich armen Knecht! Wenn ich den
einen ausziehe, so tritt mich der andere. Ja, die Stiefel haben’s
gut, die bekommen die Welt zu sehen! Während ich hier in der
Ecke stehen muß, gehen sie spazieren im Sonnenschein, und wenn
sie müde sind, dann heißt’s: Stiefelknecht her! und ich muß die
großen Herren ausziehen und sie stellen sich bequem in eine Ecke.“
Die Stiefel, denen diese Rede galt, gehörten dem Schreiber, der
sie ausgezogen hatte um sich’s leicht zu machen. Sie machten bei
der Rede lange Schäfte und der Stiefel des rechten Beines sprach
zum Stiefel des linken Beines: „Bruder, wir sollen es gut haben! Wir
sollen Herren sein! Der dumme Stiefelknecht weiß gar nicht, wie
gut er’s hat. Der Lump hat den leichtesten Dienst. Aber wir! Wir
werden den lieben Tag hindurch und oft genug durch dick und dünn
gejagt; im Sommer ersticken wir fast vor Staub, im Winter frieren
wir im Schnee, und wenn es regnet, dann sind wir immer in Gefahr
zu ersaufen. Ach, und das Pflaster! Die scharfen Steine, die kein
Erbarmen kennen! Ich möchte nur wissen, wieviel Haut sie mir
heute abgerieben haben; ich bin unten ganz durchsichtig geworden.
Es ist ein mühevolles Leben, wenn man dienen muß!“ Der Stiefel¬
knecht horcht hoch auf. „Bruder,“ sagte der Stiefel vom linken
Beine, „das Treten wollt’ ich mir noch gefallen lassen, das wird man
gewohnt; aber das Rumpeln und Bürsten am Abend oder am frühen