Full text: Frankfurter Lesebuch für Fortbildungsschulen

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gespendeten Hosenstoffe oder um selbst gestiftete Geldpreise. Die Auf⸗ 
sicht führten die beiden Schützenmeister, die jährlich zu pfingsten ge⸗ 
wählt wurden. 
Eigentümlich war das Verfahren bei dem Wettschießen selbst. 
Zuerst deschrieben die Schützenmeister die Bolzen mit den Uamen der 
Besiter. Die Schützen schossen nicht etwa einzeln in vorher festge— 
setzter Reihenfolge; sie saßen vielmehr nebeneinander und sahen voll 
Spannung auf die am Schießberg angebrachte Uhr. Sobald sich ihr 
Zeiger in Bewegung setzte, flogen die Armbrüste in die Höhe — und 
bald schwirrten die Sehnen; denn bevor der schnell drehende Zeiger 
auf den Ausgangspunkt zurückgekehrt war, mußten alle geschossen 
haben, sonst war der Schuß verloren. Nun begänn die Arbeit des 
Bolzenziehers und des Schreibers. Unter der Aufsicht der Schützen⸗ 
meister wurden die Bolzen ausgezogen, die im Blatt saßen, und ihr 
Sitz dann genau notiert. Der Näme des besten Schützen stand oben— 
an, und ihm folgten die übrigen genau in der Reihenfolge. Hhierauf 
nahm man die fehlgegangenen aus der Lehmwand. Die Namen 
ihrer Besißer wurden nicht aufgeführt. Damit war der „erste Schuß“ 
oder das „erste Rennen“ vorbei, und ein neues folgte in derselben 
Weise mit denselben Bolzen, falls sie nicht beschädigt waren. So 
ging es fort, bis die Zahl der vor Beginn des Schießens angesetzten 
Rennen erfüllt war. Wer die meisten Treffer hatte, erhielt das 
hosentuch des Rats. 
Man hielt auf strenge Ordnung, war stets darauf bedacht, daß 
die Bedingungen, unter denen die Schützen ihre Schüsse abgaben, für 
alle möglchst gleich waren. Es sollte ganz freihändig geschossen 
werden, „mit fryhem swebendem Arme“, nicht einmal der Kolben 
durfte sich gegen die Schulter drücken, der sehr lange Drücker, der 
„Schlüssel“, die Brust nicht berühren. 
Mit diesen fröhlichen Kampfspielen verbrachten die Handwerker 
in alter Zeit die Hälfte der Sonntagnachmittage des Jahres. Es war 
ihnen zugleich Kurzweil und Pflicht. Sie übten Auge und Faust nicht 
bloß aus Freude am Waffenführen, sondern auch aus Pflichtgefühl 
gegen die Vaterstadt; denn im Ernstfall galt es, mit sicherm Ge— 
schoß den anstürmenden Feind unschädlich zu machen. Wenn wir 
das bedenken, so sehen wir jene verstaubten Armbrüste, die uns in 
einem Museum vor die Augen kommen, mit liebevollem Interesse an 
und denken uns dazu einen ehrenhaften Handwerker aus alter Zeit, 
der sie mit nerviger Faust spannte und mit scharfem Auge nach dem 
Schwarzen im Ziel richtete. R. Srouing. 
141. Der Verfall des Zunstwesens. 
Wohl kein Umstand hat neben dem von innen herkommenden Zer— 
setzungsprozeß so sehr den Verfall des Zunfttums beschleunigt, als 
jener gewaltige Kampf, der, aus der fieberhaften Aufregung in kirchlichen 
Dingen hervorgegangen, dreißig Jahre lang die deutsche Nation in 
zwei sich bitter hassende Heerlager, in Protestanten und Katholiken, 
Neuschäfer, Lesebuch. 91 
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