Full text: Frankfurter Lesebuch für Fortbildungsschulen

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Glied bei Seite gestellt, und alles Handwerkszeug lag oder hing so 
sorgfältig an seinem Platz, als wenn es lange Zeit nicht gebraucht 
werden sollte. Die Wohnstube konnte nicht sauberer sein, als sie 
immer war. Die runden, bleigefaßten Fensterscheiben waren spiegel⸗ 
blank; die derben Hholzschemel mit den geschweift ausgeschnittenen 
Rũcklehnen standen wohlgeordnet auf dem reinlichen Estrich, und den 
großen Eßtisch in der Mitte bedeckte ein weiß und rot gewürfeltes 
Zahen. An dem schönen Nußbaumschrein wie an einem andern, 
auch kunstvoll gefügten aus Eichenholz war kein Stäubchen zu sehen. 
Die krausen Eisenbeschläge an den braunen Türen der Wandschränke 
glänzten wie Silber; die schweren Messingleuchter auf dem Gesims 
des mächtigen Ofens und die Krüge, die Sschuͤsseln und Teller von 
Zinn auf den Kandelbrettern blinkten und blitzten heute wie immer. 
Auf dem kleinen, mit einem bunten Tuch belegten Tisch zwischen 
den beiden Lehnstühlen an der Fensterwand harrte ein blauer Stein— 
krug seines Blumenschmucks und über die längliche Truhe, die zu— 
gleich als Sitzbank neben dem Ofen diente, war eine weiche, dunkel⸗ 
farbige Decke gebreitet. Zum Morgenimbiß gab es Sonntags im 
oldenen Ei feineres Brot, Wecksemmel und Schönroggen, und man 
blieb länger und ruhiger dabei sitzen. Jeder mußte dazu im Feier⸗ 
tagskleid erscheinen, und lauten Scherz und weltliche Kurzweil litt 
des Meisters frommer Sinn dabei nicht; dazu war nach der Kirche 
den ganzen übrigen Tag noch Zeit genug. Die hausgenossen be— 
wegten sich langsamer und gemessener, traten sachter auf, rückten die 
SsStũhle leiser und benahmen sich gegen einander rücksichtsvoller als 
sonst, wo man sich in der kurzen Ruhe zwischen der Arbeit nicht 
it Förmlichkeiten abgab. Bloße Förmlichkeiten waren es aber auch 
heufe nicht; es lag in diesem maßvollen Wesen nichts Gemachtes, 
sondern es war echte Sonntagsstimmung, die sich unwillkürlich den 
Gemutern aufprägte als eine würdige Vorbereitung für den Gottesdienst. 
Die 38 selbst hatten ein ungewöhnliches Aussehen in dieser 
Sonntagsruhe; denn wenn sie auch nicht wie ihre Bewohner andre 
Uleider anziehen konnten, so standen sie doch, Giebel neben Giebel, 
still und ernst in den engen, gebogenen Gassen, und kein Arbeitsge— 
räusch drang aus ihren feiernden Dielen. Die Schlagfenster der 
Rramläden und Werkstätten waren geschlossen, ebenso die Fleisch— 
schrangen, die Brotbänke und die Kisten der Wandschneider; denn 
Sonnlags durfte nichts verkauft werden, es sei denn, daß man das 
erste oder das Gewand für ein armes Menschenkind zu seinem 
Eingang ins Leben oder zu seinem Ausgang daraus nötig hatte, 
ne Windel oder ein Totenhemd. Das sechstürmige Rathaus lag 
in einer unnahbaren Würde breit und mächtig da; es brauchte ja 
heute nicht zu regieren, die Treppen ruhten sich aus von den ge— 
wichtigen Schritten der Gestrengen und Hochgewaltigen, und die 
Stuben waren gelüftet von all den weisen Gedanken und dumpfen 
Sorgen, die sonst darin brüteten und schwellten. 
Die Glocken lautelen zur Rirche, und die Gläubigen folgten dem 
Ruf. Ernste Männer, Ratsherren, Sülfmeister und Hhandwerker,
	        
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