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Im Jahre 1848 erkoren Abgesandte des deutschen Volkes in Frank—
furt a. M, Friedrich Wilhelm IV. von Preußen zum Deutschen Kaiser. Da
zog ein freudiges Hoffen durch manche deutsche Brust; allein der König lehnte
die ihm angetragene Würde mit den Worten ab, die deutsche Kaiserkrone
könne nur auf dem Schlachtfelde erworben werden. Wie wäre es auch
möglich gewesen, auf friedlichem Wege die deutschen Fürsten zum Aufgeben
ihrer Selbständigkeit, Osterreich zur Drangabe seiner Vorherrschaft zu be—
wegen! Hier konnte nur das Schwert entscheiden; aber damals war Preußen
hierzu nicht genug gerüstet.
4. Die Einigungskriege bis zur Wiederaufrichtung der deutschen
Kaiserwürde. Die Errichtung eines deutschen Kaiserreiches war auch ein
Jugendtraum König Wilhelms J. gewesen. Als König sah er es als seine
Pflicht an, die Einigung Deutschlands herbeizuführen, und er hatte den Mut,
es in drei großen Kriegen auf die Entscheidung durch die Waffen ankommen zu
lassen. Durch den Krieg 1864 befreite er einen Teil des deutschen Landes von
der Oberhoheit eines fremden Staates, dessen Einfluß auf deutsche Angelegen—
heiten er damit aufhob. Durch die Ereignisse des Jahres 1866 wurde Oster—
reich, dessen Einfluß stets hindernd einer wirklichen Einigung der deutschen
Stämme entgegenstand, gezwungen, aus dem deutschen Verbande auszuscheiden,
und damit seine verderbliche Vorherrschaft gebrochen. Durch die Einrichtung
des Norddeutschen Bundes bereitete sich die Wiedergeburt des Deutschen
Reiches vor. Französischer UÜbermut gab endlich den Anstoß zu einer engen
Waffenbrüderschaft aller deutschen Stämme, wie sie noch nie dagewesen war.
Gemeinsam vergossenes Blut hatte die Herzen aus Nord und Süd, Ost und
West fest miteinander verbunden; die Zeit, daß Barbarossa erwachen sollte,
war erfüllt. Brausender Jubel ertönte in den Hallen des Schlosses zu
Versailles b Werßäj), als Graf Bismarck am 18. Januar 1871 die
Erklärung König Wilhelms verlas: „Nachdem die deutschen Fürsten und
freien Städte den einmütigen Ruf an Uns gerichtet haben, mit Herstellung
des Deutschen Reiches die deutsche Kaiserwürde zu erneuern, bekunden Wir
hiermit, daß Wir es als eine Pflicht gegen das gesamte Vaterland be—
trachten, diesem Rufe Folge zu leisten. Demgemäß werden Wir und Unsere
Nachfolger in der Krone Preußens fortan den Kaisertitel führen und hoffen
zu Gott, daß es der deutschen Nation gegeben sein werde, das Vaterland
einer segensreichen Zukunft entgegenzuführen.“
Das stürmische Jauchzen, das bei dieser Kunde in allen Gauen Deutsch—
lands erscholl, bewies, daß diese Erneuerung des Reiches erfolgt war „aus
dem ureigenen Geiste des Volkes“. Auf die breite und sichere Grundlage
des ganzen deutschen Volkes sollte der Bau des neuen Deutschen Reiches ge—
gründet werden.
Unverzüglich wurden zum gesetzlichen Auf- und Ausbau 397 Abgeordnete
zum „Deutschen Reichstage“ vom Volke gewählt, auf je 100000 Seelen
einer. Die Fürsten fanden ihre Vertretung in dem vom Reichskanzler ge—
leiteten Bundesrat. Am 21. März 1871 wurde der erste Deutsche Reichstag
vom Kaiser feierlich eröffnet.
30. Kaiser Wilhelm J.
Nach den „Ergänzungen zum Seminarlesebuch“ u. a.
1. Der pflichttreue Prinz. Am 22. März 179 erblickte der spätere
Kaiser Wilhelm das Licht der Welt. Seine Eltern waren König Friedrich